Blumen für den Führer
oder an die Gräfin Viktoria noch besser werden und ich in Ruhe viel lernen kann, hat mir mein Vater in meinem Zimmer einen großen Schreibtisch ans Fenster stellen lassen, von dem aus ich in den Park schaue, während ich schreibe oder lese.«
»Ein eigenes Zimmer?«, fragte Hilde.
»Im ersten Stockwerk, dort wo sich die Schlafzimmer befinden und die Bäder.«
»Es gibt zwei Bäder?« Karin brachte das Bett zum Wackeln, dass es quietschte.
»Du willst uns ärgern, Reni«, meinte Janka trotzig. »Das finde ich nicht nett.«
»Dann schlaf doch einfach ein, und wir haben unsre Ruhe«, maulte Friederike.
»Der Führer hat mir versprochen, dass ich als Ärztin an jeden Punkt der Erde reisen kann, um dort den Menschen zu helfen.« Das Erfinden und Schwindeln hatten Reni noch nie so viel Spaß gemacht. Es fühlte sich wohlig an, wie das Einkuscheln, wenn sie manchmal mit erhöhter Temperatur im Bett ein bisschen fröstelte, kalte Zimmerluft hereinließ, um sich sofort noch fester in die warme Decke zu wickeln und die eigene Hitze zu genießen.
»Schreibst du uns mal?«, fragte Hilde. »Wir heben die Briefe auch gut auf. Bestimmt hast du ein eigenes Briefpapier mit Wappen.«
»Natürlich werde ich euch schreiben!«, antwortete Reni. »Ich finde, das Aufregendste ist, dass ich nicht nur eigenes Briefpapier und andere Kleider haben werde, sondern auch
eine neue Ehre. Sie ist wie ein unsichtbares Kleid für die Seele. Man wird ein völlig neuer Mensch. Ich werde nach Berlin fahren und eine Mädchenblüte sein.«
»Was ist denn das?«, fragte Karin.
»So nennt die Gräfin Viktoria die jungen Damen, die in ihrem Salon verkehren.«
»Sie hat einen Salon?«
»Das ist nicht nur der Raum, sondern auch die Gesellschaft, die darin regelmäßig verkehrt«, erklärte Friedel stolz. »Es finden dort Soireen statt, so nennt man vornehme Abendgesellschaften. Reni hat mir erzählt, dass dort auch unser Führer verkehrt. Das bedeutet: Reni wird regelmäßig mit dem Führer Umgang haben.«
»Und dann kommst du nicht mehr her, ich weiß das, es ist immer so«, klagte Janka.
Niemand widersprach. Als die Stille drückend wurde, sagte Reni: »Wollt ihr nicht wissen, wie der Brief an den Oganga weitergeht?«
Alle bettelten sofort.
»Erinnert ihr euch, was Fräulein Knesebeck uns einmal erzählt hat, dass die Weißen in Afrika zwar viel geholfen, aber auch eine Menge zerstört und ausgebeutet haben? Der Führer hat mir das bestätigt. In dem Brief an den Oganga werde ich mitteilen, dass Afrika auf Deutschland zählen kann.«
»Sollen die Neger etwa zu uns kommen dürfen?«, fragte Hilde.
»Der Führer will sogar, dass die Negerbuben in unsere Schulen gehen und lernen.«
Die Mädchen zischelten »Igitt!« und »Pfui!«.
»Oh bitte, nein!«, rief Hilde.
Reni flüsterte weiter: »Lieber Doktor Schweitzer, in Ihrem
wunderbaren Buch erzählen Sie, wie arm die Neger im Urwald sind. Unser Führer möchte, dass ein Teil des Reichtums, den Deutschland erarbeitet, nach Afrika fließt, um den Menschen dort zu helfen und das Land aufzubauen. Eine unserer Erzieherinnen hat uns berichtet, dass den Negern in den vergangenen Jahrhunderten viel Unrecht widerfahren ist. Um dies wiedergutzumachen, will der Führer eine eigene Dienststelle einrichten, die sich gewiss mit Ihnen in Verbindung setzen wird. Auf diesem Wege können bestimmt viele Ihrer Wünsche erfüllt werden.«
Alle waren einverstanden.
Friederike fasste den Plan, ihre spätere Berufswahl auf diese Dienststelle hin auszurichten. An Schlaf war gar nicht mehr zu denken.
»Du kannst dort Sekretärin werden«, schlug Karin vor.
»Sekretärin ist zu wenig«, wandte Friedel ein. »Wenn der Führer will, dass es uns allen besser geht, dann will ich mich nicht damit zufriedengeben. Auch nicht mit Hausfrau und Mutter! Mindestens Erzieherin will ich werden, wie Fräulein Knesebeck. Am liebsten aber Leiterin der Dienststelle für die Unterstützung der Neger in Afrika.«
»Wo ist Fräulein Knesebeck eigentlich?«, fragte Hilde.
Man beschloss, am Morgen Frau Misera um Auskunft zu bitten.
»Reni, du musst mit ihr sprechen«, sagte Friedel. »Du bist die Komtesse.«
»Ich darf darüber gar nicht reden«, erwiderte Reni. Sie schwindelte, um sich zu schützen. »Mein Vater hat mich ins Vertrauen gezogen, und ich habe versprochen, mein Wort zu halten. Es wird demnächst viele Dinge geben, über die ich nicht mit euch werde sprechen dürfen.«
»Seht ihr?«, sagte Janka.
»Was sollen wir
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