Blumen für den Führer
Farbe. Ich konnte jede Pore sehen. Der Führer ist ein durch und durch guter Mensch.« Das Schwindeln und Erfinden taten ihr nicht mehr weh. Mit Deutschland sollte es aufwärtsgehen, es musste Schluss sein mit der Not, die Menschen brauchten ihn, sie wollten ihn, der Führer würde das Volk in eine gute Zukunft führen. Eine Zeitenwende stand bevor, der Vater hatte recht!
Friedel rief: »Hat er denn nichts zu dir gesagt?«
»O ja. Er will, dass alle Menschen auf der Welt in Frieden und Wohlstand zusammenleben, und er versteht die Olympischen Wettspiele als den ersten Schritt zur Versöhnung aller Völker. Selbst die Neger in Afrika schließt er nicht aus. Dafür wollen wir ihn lieben und dabei werden wir ihm helfen. Das habe ich geantwortet.«
Frau Misera klatschte wieder los und alle folgten ihr. Die Mädel standen von den Stühlen auf. Karin winkte und hatte
nasse Augen, Friedel kam ein Stück heran und stieß den Arm zum Gruß empor. Ihr Mund stand offen, weil sie etwas rief, das Reni in dem Trubel jedoch nicht verstehen konnte. Der Vater stimmte ein, der Hauptsturmführer nickte freundlich.
Reni strahlte und war glücklich über so viel Zuspruch und Verständnis. Im Blick des Führers hatte sie die gute Botschaft erkannt. Sie hatte wieder Luft, atmete tief und fühlte sich befreit und so federleicht, dass ihr ein bisschen schwindlig wurde.
Hausmeister Kiank betrat den Saal und ging zielstrebig auf den Blumenkübel zu. Er trug statt seines Kittels ein weißes Hemd. Behutsam hob er das angelehnte Führerbild auf, hielt es sichtbar vor die Brust und trug es zur Tür. Frau Misera schloss sich an. Der Vater nickte Reni zu, stand auf und folgte ihr. Sodann der Hauptsturmführer und die Erzieherinnen, bis schließlich alle Mädel eine lange Prozession bildeten, an deren Spitze Reni neben ihrem Vater ging.
Man verließ das Pensionat, überquerte den Hof und folgte Kiank bis zu der Kapelle an der Straße, wo er stehen blieb. An der Toreinfahrt ragte eine nagelneue weiße Fahnenstange in den Himmel. Das lange rote Tuch mit dem schwarzen Emblem auf weißem Grund schnalzte im milden Wind.
Kiank trug das Führerbild in die Kapelle. Im Schatten sah man, wie er es auf die leere, weiß gekälkte Steinstufe stellte, auf der bislang ein altes Kreuz gestanden hatte. Das Kreuz war nicht zu sehen. Zwei ältere Mädel trugen den Blumenkübel heran und stellten ihn dazu. Dann schloss der Hausmeister die Gittertür.
Frau Misera trat vor und stellte sich bedeutend vor die Menge. Die Erzieherinnen, Fernau, Reni und der Vater blieben etwas abseits. Kiank trat zur Seite, bellte seinen Husten
in die Luft und wurde rot. Er hielt die Mütze schützend vor den Schoß.
Es wurde still.
Frau Misera sagte: »Ich denke, was Reni soeben berichtet hat, bewegt uns alle tief, und wir danken ihr, dass sie uns ein bisschen hat teilhaben lassen an ihrem großartigen Erlebnis. Graf Haardt hat mir gesagt, dass er seiner Tochter eine glänzende Zukunft in Aussicht stellen kann. Sie wird in Kürze noch einmal nach Berlin reisen, um im Salon der Gräfin Viktoria von Dirksen Aufnahme zu finden. Dort verkehrt auch unser Führer.« Frau Misera ließ eine Wirkungspause vergehen, bevor sie fortfuhr: »Wir sind also stolz, die junge Komtesse als eine unserer Kameradinnen weiterhin zu kennen, und möchten an dieser Stelle den herzlichen Wunsch zum Ausdruck bringen, dass sie uns nicht vergisst und immer wieder einmal Zeit findet, uns ihre teure Gegenwart zu schenken.«
Reni sah, dass Friedel weinte. Frau Misera wartete, bis Renis Blick wieder auf sie gerichtet war.
»Immerhin hast du hier eine Reihe guter Freundinnen, nicht wahr? Du bist jederzeit willkommen, liebes Kind.«
Reni machte einen Knicks. Sie war nicht sicher, ob es in dem Moment angemessen war. Der Vater lächelte – da fühlte sie sich gleich ein wenig besser.
»Ich darf euch mitteilen«, fuhr die Leiterin fort, »dass sich Haus Ulmengrund in nächster Zeit verändern wird. Es mag euch Disziplin abverlangen, aber wir dienen der Sache und dem Führer. Hauptsturmführer Fernau hat bereits die notwendigen Unterlagen mitgebracht. Unser Haus wird Teil der Bewegung, und darauf können wir stolz sein, es ist zu eurem Besten.« Sie holte hastig Luft. »Ich hoffe, ihr werdet die kleine
Feier in angenehmer Erinnerung behalten, und möchte dem Herrn Grafen noch einmal ausdrücklich für seine große Hilfe danken. Und natürlich Reni für den Mut und das Vertrauen, uns in ihr Herz blicken zu lassen.«
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