Blumen fuer die Toten - Ein Fall fuer Commissario Mariani
deutlich eine Erklärung für das kranke Hirn des Mörders.
Kaum bin ich im Büro zurück, gilt mein erster Gedanke meiner Mutter. Sie geht nicht ans Telefon, und ich fürchte schon, dass etwas passiert ist, da nimmt sie aber doch ab. »Pronto.«
»Ich bin’s, Ma.« Ich bin erst einmal still, habe sie ja schon genug erschreckt, als ich sie zur Vorsicht gemahnt habe. Aber langsam, sie ist ja keine zwanzig mehr, ich glaube zwar, dass sie ein gesundes Herz hat, doch man kann nie wissen.
»Was ist, Nino? Ich habe in der Zeitung gelesen, dass es hier im Corso Magenta einen Mord gegeben hat.«
»Deshalb rufe ich dich auch an. Du musst vorsichtig sein. Mach niemandem auf, und lass niemanden in die Wohnung.«
»Heute Nachmittag kommen meine Freundinnen zum Canasta-Spielen, sollen wir uns etwa ins Treppenhaus setzen?«
»Hör doch auf, du hast mich ziemlich gut verstanden, tu nicht blöder, als du bist.«
»Hör zu, Nino. Ich habe den Faschismus überlebt, die Bombardierungen, die Razzien, eine böse Schwiegermutter wie aus dem Märchen, das italienische Schulgesetz und einen Sohn, dich, der Polizist geworden ist, die Studentenunruhen und die bleierne Zeit, die Sozialfürsorge und die Krankenversicherung, Reich und schön und Raffaella Carrà im Fernsehen, und weißt du auch, wie?«
Ich weiß es, aber ich weiß auch, dass sie es mir sagen will.
»Ich habe mich noch nie von jemandem einschüchtern lassen.« Das stimmt, für einige der Ereignisse, die sie erwähnt hat, kann ich das selbst bezeugen, für andere habe ich Beweise gesammelt. »Und ich meinerseits habe noch nie jemanden eingeschüchtert.« Keine glaubhafte Aussage, ich habe Beweise für das Gegenteil.
»Und ich habe nicht die geringste Absicht, jetzt damit anzufangen. Ein Verrückter, der mich umbringen will? Das soll er bloß mal versuchen! Die Engländer haben es versucht, als sie uns bombardiert haben, die Deutschen und die Faschisten haben es auch versucht.« Ich sehe sie vor mir, wie sie sich mit einer Hand durchs Haar fährt. Ich sollte ein Foto von ihr machen und es den Zeitungen und den Fernsehsendern zuschicken, wenn der Mörder sie sieht, ergibt er sich. Als Kind habe ich immer geglaubt, dass die deutsche Besatzung vor meiner Mutter die Waffen gestreckt habe … irgendwas von damals muss noch hängengeblieben sein.
»Du solltest das viel eher Francesca sagen. Nicht, dass sie nicht auf sich aufpassen kann. Du hast schließlich eine richtige Frau geheiratet und keine schwachsinnige Barbiepuppe. Doch sie soll wegen Manu aufpassen, die ist nur ein Kind, und auch sie gehört zur Familie.«
Wenn Manu etwas passiert …
»Wie auch immer, ich habe dich gewarnt, Ma.«
»Hör auf, immer wie auch immer zu sagen.« Pause. »Ich habe sie gekannt, weißt du das?«
»Wen?«, frage ich, obwohl ich sie sehr gut verstanden habe, und es läuft mir kalt den Rücken runter.
»Die Signora Jolanda. Wir haben uns kennen gelernt, als sie mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus lag, dann haben wir uns hier im Viertel wieder getroffen. Ich habe versucht, mich ein bisschen mit ihr anzufreunden, aber sie wollte offensichtlich nicht. Wir grüßten uns, und das war’s. Wir sind, wir waren im selben Fischgeschäft einkaufen. Eine Supergenaue, auch ein bisschen zickig. Wehe, wenn jemand sie in der Schlange angestoßen hat! Und sie hat auch keinen vorgelassen, nicht einmal Mütter mit kleinen Kindern; sie war doch allein, und für uns ist es doch egal, wenn es mal ein bisschen länger dauert. Aber nein, sie musste ja wieder vor den Fernseher. Manchmal denke ich, dass das Fernsehen schlimmer ist als die Wasserstoffbombe. Lieber tot als verblödet.« Auch meine Mutter kann Predigten halten, wenn sie will. Ich war schon immer der Ansicht, dass die säkularen Kanzeln, von denen die bürgerlichen Tugenden Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gepredigt werden, die höchsten sind. Vielleicht bin ich ja deswegen Polizist geworden, sie hat mich gelehrt, dass die anderen die Guten sind und dass ich mir nur die Bösen herausgesucht habe.
Gut und Böse, da fällt mir Nando ein. Wie konnte ich ihn nur vergessen? Ich verabschiede mich rasch von meiner Mutter, es gibt sowieso nichts mehr zu sagen, und frage Anselmi nach Nando.
»Ja, Commissario, er ist vor etwa einer Stunde gekommen, jetzt müsste er bald wieder hier sein, er hat gesagt, er würde noch etwas ausliefern und käme dann noch mal.«
»Sie hätten ihn nicht gehen lassen dürfen.«
»Dann hätte ich mich aber Ihrer
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