Blumen Für Sein Grab
eine Schönheit gewesen sein musste. Doch jetzt wurden die Fältchen um Augen und Mund und die verlorene straffe Kinnlinie durch die Anwendung von reichlich Mascara und Lippenstift überkompensiert und verliehen ihren noch immer edlen Gesichtszügen einen künstlichen, zu rötlichen Teint. Ihr schulterlanges Haar schimmerte unecht kastanienbraun. Nichtsdestotrotz ging von ihr ein gewisser Glanz aus, und der Wagen, der braune Wollmantel sowie der golden und schwarz gemusterte Seidenschal, den sie achtlos um den Hals geschlungen trug, waren allesamt kostspielig.
»Nein«, antwortete Meredith und hatte Schwierigkeiten, sich ihre Faszination nicht allzu offen anmerken zu lassen.
»Ein Freund von mir wohnt hier im Hotel. Ich wollte nachsehen, ob er zu Hause ist.«
»Oh?« Plötzlich lächelte die Frau und streckte Meredith ihre schlanke, beringte Hand entgegen.
»Ich bin Miriam Troughton. Mein Mann ist der Inhaber dieses … dieses alten Kastens!« Sie nickte geringschätzig in Richtung des Hotels in ihrem Rücken. Meredith schüttelte die dargebotene Hand und spürte die schweren goldenen Ringe in ihrem Handteller. Sie nannte ihren eigenen Namen und fügte hinzu:
»Ich bin zu Besuch bei Rachel Constantine.« Miriam Troughton musterte sie unter langen, schweren Lidern hindurch.
»Der arme Alex«, sagte sie mit einer Stimme, die noch rauchiger und noch ausländischer klang als zuvor.
»Ich war wirklich entsetzt, als ich davon erfuhr! Ich war zu der Zeit unterwegs. Was für ein Schock! Wie geht es der armen Rachel?«
»Sie hält sich eigentlich ganz gut, wirklich«, sagte Meredith diplomatisch, wenn auch nicht ganz ehrlich.
»Alex und ich haben von Zeit zu Zeit gemeinsam einen Drink genommen.« Miriam zuckte die Schultern.
»Ich habe nie verstanden, wie er hier leben konnte! Er hätte sich überall auf der Welt ein Haus kaufen können. Er war ein steinreicher Mann!« Sie gurrte die letzten Worte mit fast sinnlicher Bewunderung. Dann beugte sie sich zu Meredith vor und zischte wütend:
»Was mich betrifft, ich muss von Zeit zu Zeit hier weg, sonst werde ich noch verrückt!« Ihre Worte wurden von einer dramatischen Geste begleitet, als wollte sie das Lynstone House Hotel vom Erdboden wegwischen, dann tippte sie sich an die Stirn. Die letzte pantomimische Geste war überflüssig. Meredith bekam auch so eine Ahnung vom mentalen Zustand ihres Gegenübers. Wo um alles in der Welt hatte Jerry Troughton diese Frau aufgegabelt? Mavis schien zu glauben, dass er sie im Nahen Osten kennen gelernt hatte, und es war sicherlich interessant zu spekulieren, unter welchen Umständen diese schicksalhafte Begegnung stattgefunden hatte. Vielleicht hatte Miriam als Tänzerin oder Sängerin in einem Nachtlokal gearbeitet. Oder vielleicht als Hostess, was auch immer darunter zu verstehen war. Oder sie war die Gespielin eines reichen Mannes gewesen, der ihrer müde geworden war. Mehr als ein Detail wies darauf hin, dass Mrs. Troughton eine poule de luxe war, doch auf der anderen Seite zeigte sich in ihren geschminkten Zügen eine Verschlagenheit, die vermuten ließ, dass sie nicht aus einem respektablen Elternhaus stammte. Wie allerdings eine derart beeindruckende Lady dazu kam, den gewöhnlichen kleinen Jerry Troughton zu heiraten, das war vielleicht viel weniger rätselhaft, als es auf den ersten Blick aussah. Meredith hatte schon häufiger mit Zweckehen dieser Art zu tun gehabt. Wo auch immer Jerry seiner Miriam begegnet war, sie hatte wahrscheinlich ziemliche Schwierigkeiten gehabt und konnte nicht schnell genug verschwinden. Höchstwahrscheinlich waren ihre Lebensumstände derart, dass sie weder in Europa noch in den Vereinigten Staaten permanent hätte bleiben können, selbst wenn die Behörden ihr zunächst eine Einreisegenehmigung erteilt hätten. Mr. Jerry Troughton war genau im richtigen Augenblick vorbeigekommen, wie ein fahrender Ritter längst vergangener Zeiten, und hatte die junge Dame aus ihrer Not errettet. Damals war sie bestimmt dankbar gewesen, und es musste eine seltene und berauschende Erfahrung für Jerry Troughton gewesen sein, eine so wunderschöne, kluge Frau im Arm zu halten und in seiner Schuld zu wissen. Doch Dankbarkeit hat ihre eigenen Gesetze, und sie hält in der Regel nicht lange vor. Ohne Zweifel war Miriam bald zu dem Schluss gekommen, dass jegliche Verpflichtung ihrem Retter gegenüber längst eingelöst war. Jerry hingegen hatte sicher reichlich Zeit, seinen ritterlichen Impuls zu bereuen. Miriam
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