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Blumen Für Sein Grab

Blumen Für Sein Grab

Titel: Blumen Für Sein Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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würde. Das Haus war ein Beispiel für viktorianisch-neugotische Überladenheit. Es war aus dunklem, braunrotem Stein errichtet, vielleicht als Gegenstück zu Lynstone House Hotel, und der Architekt hatte offensichtlich den Auftrag gehabt, eine Abtei zu entwerfen – oder das, was die romantische Vorstellungskraft jener Zeit für ein mittelalterliches Kloster gehalten hatte. Die Fenster liefen in frühem neugotischen Stil nach oben spitz zu. Entlang der Dachgesimse ragten in regelmäßigen Abständen Wasserspeier aus steinernen Drachenköpfen, Adlern und Menschengesichtern, die so grotesk waren, dass sie wahrscheinlich Teufel darstellen sollten. Über der ganz und gar nicht zum Gesamtbild passenden Tudor-Eingangstür hielt ein Adler einen Schild, dessen Wappen längst verwittert war. Das Wappentier grinste auf den Weg zum Haupteingang hinab, als wüsste es etwas, das dem Besucher nicht gefallen würde. In starkem Kontrast zu all dem stand der wunderbar gepflegte Park. Ein junger Mann arbeitete mit einer Hacke und einer Schubkarre bei einem Blumenbeet neben dem Eingang. Er hielt inne, als Meredith sich näherte, und kam zu ihrem Wagen, um ihr die Tür aufzuhalten.
    »Guten Morgen, Miss Mitchell! Ich hoffe, Sie hatten eine gute Fahrt hierher?« Seine Stimme klang ein wenig heiser und besaß einen anziehenden französischen Akzent.
    »Hallo. Sie sind Martin, nicht wahr?«, sagte sie, als sie den Gärtner-Chauffeur wiedererkannte. Er wirkte um einiges glücklicher hier bei seinen Blumenbeeten als bei ihrer letzten Begegnung, wo er von einer vollkommen hysterischen Rachel Constantine mit Instruktionen bombardiert worden war.
    »Ja, Mademoiselle. Mrs. Pascoe, die Haushälterin, ist in die Stadt gefahren. Doch Mrs. Constantine erwartet Sie bereits. Die Tür ist offen. Mrs. Constantine hat gesagt, Sie möchten hereinkommen. Sie finden sie im Wintergarten. Er liegt an der Rückseite des Hauses. Ich werde Ihr Gepäck hineinbringen.« Meredith zögerte.
    »Wie geht es Mrs. Constantine?« Martin wich ihrem Blick aus.
    »Es geht ihr einigermaßen gut, aber sie, ich kenne den englischen Ausdruck nicht, sie ist en deuil.«
    »In Trauer«, half Meredith aus.
    »Ah, ja«, sagte Martin nachdenklich.
    »Sie ist in Trauer.« Einmal mehr betrat Meredith ein großes, scheinbar menschenleeres Haus. Doch hier verriet ihr die Behaglichkeit des Interieurs sogleich Rachels Hand, die zarten Pastelltöne, die ein sonst gewiss düsteres Inneres erhellten und die seltenen, sorgfältig ausgewählten und platzierten Antiquitäten. Auch war dieses Haus nicht totenstill. Denn als Meredith den Mund öffnete, um ihre Ankunft zu melden, vernahm sie lautes Lachen. Das Geräusch kam so unerwartet und klang so körperlos, wie es von den hohen Decken echote, dass Meredith heftig vor Schreck zusammenfuhr. Das Lachen war von irgendwo im hinteren Teil des Hauses gekommen, aus Richtung – wie hatte Martin doch gesagt? – des Wintergartens. Offensichtlich war Rachel nicht allein. Merkwürdig, dachte Meredith, dass Martin nichts von einem anderen Besucher erwähnt hatte. Meredith hatte auch keinen anderen Wagen gesehen, der irgendwo in der Auffahrt geparkt stand, also war dieser Besucher wahrscheinlich zu Fuß gekommen. War es möglich, dass einer von Lynstones so schwer zu entdeckenden Bewohnern aufgetaucht war, um Rachel einen Kondolenzbesuch abzustatten? Meredith ging weiter in die Richtung, aus der das Lachen gekommen war. Als sie sich näherte, vernahm sie einen weiteren, fast genauso unerwarteten Laut. Es war eine Klangwoge aus Zwitschern, als wären zahlreiche Vögel aus ihren Nestern aufgeschreckt worden. Jetzt erst recht neugierig geworden, durchquerte Meredith einen Speisesaal, trat durch eine Glastür und stieß überrascht einen Laut aus. Sie befand sich in einer riesigen viktorianischen Orangerie, einer hoch aufragenden Konstruktion aus schmiedeeisernen Streben und Glas, das zum Teil rot und blau eingefärbt war. Es herrschten beinahe tropische Temperaturen, dank der dicken Heizrohre, die ein paar Zoll über dem mit Terrakotta gefliesten Boden an den Wänden entlang verliefen. Doch die meisten Pflanzen, die einst in dieser Orangerie gestanden haben mussten, waren entfernt worden – bis auf einen einzigen Orangenbaum, der die Luft schwer machte mit dem süßlichen Duft seiner Blüten. Er war umhüllt von einer riesigen Drahtvoliere, die fast die Hälfte des verfügbaren Raums einnahm. Die Voliere war gefüllt mit Kanarienvögeln – so vielen, dass

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