Blumen Für Sein Grab
auf der anderen Seite herrschte heller Sonnenschein, und dort stand sie. Eine Frau. Meredith atmete scharf ein. Das war ohne jeden Zweifel die Frau, die sie an jenem Abend in der Einfahrt zu Malefis Abbey gesehen hatte! Eine Kollegin des Motorrad fahrenden Fotografen, die von der Beerdigung berichtete? Doch sie kam nicht von irgendeiner Zeitung, dessen war sich Meredith sicher. Die Kleidung war viel zu formell. Sie machte keine Notizen, sprach in kein Diktiergerät. Meredith blickte sich suchend nach Alan um, in der Hoffnung, seinen Blick einfangen und seine Aufmerksamkeit auf die Fremde richten zu können. Doch er stand mit gesenktem Kopf und respektvoll in der Menge, und Meredith hatte keinen Erfolg. Sie sah wieder zu der mysteriösen Fremden. Die Grabsteine zwischen ihr und der Frau verbargen den unteren Teil von deren Gestalt, doch ihr Oberkörper war deutlich zu erkennen. Sie trug Marineblau, genau wie Meredith. Meredith kam das Kostüm mit dem weißen, quäkerartigen Kragen nur zu bekannt vor, zu dem die Fremde jetzt einen passenden breitkrempigen Hut trug, der ihr Gesicht beschattete. Das lange Haar reichte bis auf die Schultern. Sie hatte die Hände vor dem Leib gefaltet; darin hielt sie zwei einzelne, langstielige Blumen, die aus der Ferne aussahen wie Lilien. Sie trug keine Handtasche. Das ist eigenartig!, dachte Meredith. Sie trägt einen Hut, aber keine Handtasche. Und überhaupt, was machte sie dort drüben? Warum kam sich nicht herbei und stellte sich zu den anderen? Die Lilien deuteten darauf hin, dass sie hergekommen war, um Alex die letzte Ehre zu erweisen, doch sie war nicht in der Kirche gewesen. Mit einem Mal verspürte Meredith unerklärliche Furcht in sich aufsteigen. Diese stille, reglose, vornehm gekleidete Gestalt zwischen den Grabsteinen hätte aus der alten Erde selbst aufgestiegen sein können. War es möglich, dass nur Meredith allein sie sehen konnte? Hatte sie denn niemand außer ihr bemerkt? Merediths Blick glitt wieder zu der Gruppe beim Grab. Mavis Tyrrell streute gerade Erde auf den Sarg von Alex. Sie tat es in einer methodischen Bewegung, vor und zurück, als wollte sie Mehl über einen Teig streuen. Niemand sah in Merediths Richtung. Die Fremde stand noch immer an der gleichen Stelle, als Meredith wieder zu ihr sah. Ein Anflug von Ärger hatte die Angst zurückgedrängt. Meredith hob die Hand und winkte der Frau, sich zu ihnen zu gesellen. Die Gestalt bewegte sich. Die Frau legte eine Hand an ihren Hut. Die Geste besaß etwas merkwürdig Vertrautes, das Meredith in diesem Augenblick nicht einzuordnen wusste. Es nagte wütend an ihrem Verstand, ein Fragment einer verlorenen Erinnerung. Schließlich wurde der Wunsch, das Rätsel zu lösen, einfach überwältigend. Meredith löste sich aus der Gemeinschaft der Trauernden und ging über den unebenen Rasen auf die unbekannte Zuschauerin zu. Augenblicklich wandte sich die Frau ab und eilte in Richtung des kleinen Tors, das auf einen Weg an der Seite des Friedhofs führte. Der Anstand verbot Meredith zu rennen, und als sie endlich das Tor erreicht hatte, war die Fremde verschwunden. Sie musste sich nach links gewandt haben, den Weg hinunter. Nach rechts wäre sie zur Hauptstraße gekommen und über die vordere Friedhofsmauer hinweg zu sehen gewesen. Meredith wandte sich ebenfalls nach links. Der Weg führte zwischen hohen Böschungen steil bergab und direkt in ein kleines Dickicht. Zu beiden Seiten bildete das Gewirr von Zweigen und Ranken wild wachsender Flora eine undurchdringliche Mauer. Um die Bäume herum wuchsen Brennnesseln und Brombeeren. Merediths Schritte hallten laut über den harten Asphalt der Straße und wurden von den Wänden aus Vegetation zurückgeworfen. Doch als sie stehen blieb, um zu lauschen, waren keine anderen Schritte zu hören, obwohl sie sicher war, dass sich die fremde Frau vor ihr befinden musste. Nichts außer dem Rauschen der Blätter, dem Knacken von Zweigen und dem vereinzelten Flattern von Vögeln. Sie spürte, dass sie aus der Sicherheit des Unterholzes heraus beobachtet wurde. Die Frau aber blieb wie vom Erdboden verschluckt. Es war ein feindseliger Ort, und Meredith war ein Eindringling. Sie wandte sich um und stieß einen erschrockenen Ruf aus. Ihr war nicht aufgefallen, dass Alan Markby sich aus der Trauergemeinde gelöst hatte, um ihr zu folgen. Doch er wartete ein Stück weit hinter ihr, oberhalb der Straße, seine Silhouette hob sich scharf vor dem hellen Himmel ab. Er trug seinen Hut.
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