Blumenfresser
Gewalt. Masa hatte das Gefühl, sein Kiefer würde ihm herausgerissen, der Kopf abgerissen, der Knochen in seinem Genick zerbrechen, und er dachte schon, dass nicht nur diese unglückliche, wer weiß woran leidende Frau, sondern auch er selbst in dem Kampf zugrunde gehen werde. Das allmählich dämmrige Ufer, die Schatten, die sich über die Lichtung streckten, die am anderen Ufer aufblitzenden Lichter, der sich violett färbende Himmel, das Summen der Blutsauger, alles wirkte traumartig und fern. Sein Mund schwamm im Blut, das Haar schnitt ihn bis auf den Knochen, der Schweiß brannte ihm in den Augen, während er die Hand haltsuchend bis zum Gelenk in die Erde grub.
Masa, wenn du nicht kommst, sterben wir!, hörte er die Stimme Gilagógs.
Unvermittelt erlahmte der Widerstand, und Masa erblickte zwischen den Lippen der Frau ein ekelhaftes schwarzes Etwas. Den ganzen Körper anspannend, riss er mit all seiner verbliebenen Kraft an Wurzelmamas Haar. Er schlug einen Purzelbaum rückwärts, schnellte jedoch zurück. Auf allen vieren seinen blutigen Speichel wie ein wütender Hund verspritzend, staunte er das im Gras zappelnde schwarze Fischlein an. Das schwarze Biest war nicht länger als der Finger eines kleinen Kindes.
O weh, auch das kann der Tod sein?!
Nicht nur eine Schauergestalt in roten Stiefeln und rotem Gewand, mit großem Hut und Sense, sondern auch so ein läppisches Vieh, ein so fürchterlich starker Unfisch?!
Masa kotzte alles Brot und Obst heraus, das er an jenem Tag in sich hineingestopft hatte. Er spuckte Blut und Galle. Indem er sich den Mund abwischte, blickte er auf. Der Fisch war weiß, wie aus Marmor gemeißelt. Gleich darauf nahm er Regenbogenfarben an, prunkte in Rot, Grün und Gelb wie der schönste Barsch der Welt oder eher noch wie der in tiefen Bergseen des Balkans lebende Papageifisch. Seine kleinen Augen starrten Masa an.
Der Zigeuner schüttelte verwirrt seinen Schopf. Soll auch das der Tod sein?!
Er hob den Fisch mit dem Mund auf, um ihn in die Theiß zu schleudern. Ein Tulpenfisch! Masa legte den Kopf schief, doch die Bewegung misslang, er schüttelte sich wie von einem Ameisenhaufen gepeinigt. Sein Adamsapfel machte einen Sprung, er hatte den Fisch hinuntergeschluckt. Er umklammerte den eigenen Hals, schlug sich auf den Bauch, versuchte zu erbrechen, steckte sich den Finger in die Kehle, doch der Fisch kam nicht mehr zum Vorschein. Masa richtete sich auf und zuckte mit den Schultern, wenn er das Biest hinuntergeschluckt hatte und es nicht herauswürgen konnte, würde er es anders loswerden. Devel würde die Dinge schon in Ordnung bringen. Er konnte kaum noch etwas sehen, langsam wurde es völlig dunkel.
Masa, Masa!, hörte er Gilagógs Ruf, dann stöhnte der Woiwode schmerzlich auf. Masa fuhr sich an den Kopf, schnell entfachte er mit seinem Werkzeug ein Feuer und näherte sich mit dem schwankenden Licht in der Hand vorsichtig dem Gesicht der Frau, in das die Farbe zurückgekehrt war, sie atmetegleichmäßig und ruhig. Er riss Gras aus und kleidete sie eilig um. Doch er zog sie dabei nicht aus, entblößte sie von keinem einzigen Stück Stoff, sondern band ihr Grasbüschel und Zweige ums Kleid, schnürte es fest und machte einen Grasmenschen aus ihr. Schließlich nahm er den bewusstlosen Körper auf die Schulter. Er lief von der sich verdunkelnden Halbinsel, lief zu den Seinen, die in Schwierigkeiten waren. Jemand musizierte in der Nähe.
Der Zigeuner trägt Gras, soll er!
Der Zigeuner trägt Gras, um Suppe zu kochen, soll er!
Der Zigeuner trägt Gras, um sich am Grasfeuer zu wärmen, soll er!
Der Zigeuner trägt Gras, um sich daraus ein Lager zu bauen und auf einem Grasbett zu träumen, soll er!
Was würde geschehen, wenn er mit der Frau ohne Tarnung losginge, sie nicht in Gras, Blätter und Büschel gekleidet hätte?! Auf dem Markt würde man ihm ein Bajonett in den Rücken rammen, ihn in der ersten Straße ergreifen, in Eisen legen, in ein dunkles Loch stoßen, wo er dann bis ans Ende aller Tage verrotten würde. Keuchend rannte Masa mit seiner merkwürdigen Last, er spürte, dass ihnen etwas sehr, sehr Schlimmes drohte. An einer helleren Straßenecke knirschte etwas unter seinem Fuß: ein rostiger, fingerdicker Nagel, flink ließ er sich auf die Knie nieder, schnappte ihn mit dem Mund und eilte weiter.
Gilagóg befahl seine Leute in die Zelte. Der schniefenden Somnakaj goss er gezuckerten Mohnsaft in den Mund, als ihr Kopf zur Seite fiel, deckte er sie sorgfältig zu
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