Blut & Barolo
Geruch wieder in der Nase. Er musste schnell an etwas Angenehmes denken! Das Tuch hatte nach Trüffel gerochen – doch auch wie eine Lüge. Er musste also alle natürlichen Aromen ausblenden und sich in die Richtung bewegen, in der etwas nicht stimmte, in der eine Farbe im Gemisch der Gerüche mitschwang, die zu rein war, zu klar abgegrenzt, so wie die Natur sie niemals hervorbringen könnte. Es war wie der Unterschied eines Plastikbaums zu einem echten. Unregelmäßigkeiten ließen sich einfach nicht nachbilden. Perfektion existierte nur in den Fabriken. Doch Giacomo erkannte keinen Fehler im dichten Gewebe der Aromen. Er spürte aber, wo es nicht die gewohnte Geschmeidigkeit aufwies. Diesem Unbehagen folgte er nun, und je mehr er dies tat, umso stärker wurde es. Niccolò redete auf ihn ein, doch Giacomo nahm nur noch die Welt der Gerüche wahr. Im Winter war sie klarer als imSommer, wenn alles hochkochte wie in einer gigantischen Küche.
Aus einer Ahnung wurde ein Nebelhauch, der sich später zu einem schmalen Band verdichtete, das durch den ganzen Park bis zu einer kleinen Lichtung verlief. Für die Augen sah der Schnee hier aus wie überall im Parco Naturale di Stupinigi, vielleicht ein wenig höher aufgetürmt, weil der Wind mehr seiner weißen Fracht abgeladen hatte. Für Giacomos Nase jedoch fuhr nahe der größten Pappel ein grellrotes Duftband aus dem Boden. Er blieb davor ste hen.
»Ist es da?« Da war wieder Niccolòs Stimme. So hoffnungsvoll. »Es wurde also nicht gestohlen?«
Giacomo grub, es schmerzte an den Pfoten, denn die Eiskruste war hart wie zu lange gebackenes Brot. Er wusste genau, wie tief er zu buddeln hatte, und schob die letzten Erdklumpen so zärtlich vom Tuch beiseite, wie er es sonst nur bei Trüffeln tat. Die Zähne fest darum geschlossen, hob er es heraus und legte es dann wie ein Geschenk vor Niccolòs Pfoten nieder.
»Und jetzt?« Giacomo blickte den Freund an. »Schon darüber nachgedacht?«
Er las die Antwort in den Augen des Windspiels. Über den nächsten Schritt hatte dieses sich erst das Hirn zermartern wollen, wenn der erste getan war.
»Wie kommen wir beide, die mittlerweile von der ganzen Stadt gesucht werden, mit diesem schweren Tuch zurück nach Turin?«, fragte Giacomo und ging um Niccolò herum, der ihm irritiert mit dem Kopf folgte. »Na? Du weißt es nicht.« Giacomo machte eine kleine Pause. »Das Gute ist: Ich dagegen habe eine erstklassige Idee!«
Tommaso hätte vor lauter Freude eine Eiche umrennen können. Dass da vor ihm im Parco Naturale di Stupinigi waren fraglos der gesuchte Lagotto und neben ihm das Windspiel,von dessen Jagd Amadeus erzählt hatte. Tommaso hatte sie nicht gleich gestellt, nachdem ihm ein Späher berichtete, sie am Borgo Medievale gesichtet zu haben. Nein, Tommaso war klug, Tommaso war ihnen gefolgt. Ein direkter Angriff führte nicht immer zum Ziel. Das hatte er bei den Dachshunden lernen müssen. Es war eine bittere Lektion gewesen, und Tommaso hatte jetzt noch das Gefühl, sich das Wasser aus dem Fell schütteln zu müssen, wenn er nur daran dachte. Nur das Glück oder aber die Vorsehung hatte ihn gerettet. Die stinkende Welle aus Brackwasser, Jauche und menschlichen Ausscheidungen würde Tommaso niemals mehr vergessen, er hatte sich danach nicht einmal getraut, sein Fell sauberzulecken, so sehr widerte ihn der Geruch an. Im Bruchteil einer Sekunde hatte das feuchte Monstrum Tommaso hochgeschleudert, bis an die Decke, und dort hatte die Bulldogge das gemacht, was sie am besten konnte, sich festgebissen, irgendwo. Tommaso hatte ein altes Kupferrohr erwischt und nicht mehr losgelassen, obwohl das Abwasser ihn mitreißen und ertränken wollte, wie all seine Gefährten. Keiner von ihnen hatte überlebt, nicht einmal ihre Leichen hatte Tommaso gefunden – allerdings hatte er auch nicht danach gesucht. Als alles vorbei war, ließ er sich in das sinkende Wasser fallen und so lange treiben, bis Tageslicht ihm einen Ausstieg verriet.
Diesmal würde Tommaso sich nicht übertölpeln lassen. Dafür war die Sache viel zu wichtig. Er erinnerte sich deshalb wieder an seine Erfahrungen als Polizeihund. Da hieß es Spuren suchen, Verdächtige observieren. Wie damals bei dem Camorra-Gefolgsmann, der sich in einem alten Lagerhaus am Nordufer des Po versteckt hatte. Zwei Tage und Nächte hatten sie ausgeharrt. Dann ging ihnen der ganze Schieberring ins Netz. Zur richtigen Zeit zuschlagen, das musste Tommaso.
Und die richtige Zeit war jetzt.
Die
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