Blut der Wölfin
Ich hörte die Tasten unter ihren Fingern klicken. »Hab ihn. Noch nicht als vermisst gemeldet, aber es ist ja auch erst einen Tag her, und wenn er allein lebt, ist das nicht ungewöhnlich. Ein dritter Vermisster in dieser Wohngegend, das gibt eine tolle Story. Ich schulde dir was für den Tipp.«
»Kein Problem. Kannst du mich zurückrufen, wenn du die Details hast? Die Story gehört dir, aber hinterher kann ich sie vielleicht als Klatschnotiz auf der anderen Seite der Grenze verwerten. Und die Reise von der Steuer absetzen.«
Sie lachte. »Kluges Mädchen. Wie lang bist du noch hier in der Stadt? Wir sollten uns wirklich – oh, Moment, da will jemand was.«
Sie hielt meinen Anruf in der Warteschleife. Eine Minute später war sie wieder da.
»Muss los«, sagte sie. »Hab gerade einen Tipp gekriegt. Prostituiertenmord drüben an der Yonge.«
»Jetzt gerade? Ich hab die Sirenen gehört.«
»Na, wenn du sowieso in der Gegend bist, schieb deinen Hintern rüber.« Sie rasselte die Adresse herunter. »Messermord, und anscheinend ziemlich eklig. Der Typ, der sie gefunden hat, hat sein Abendessen gleich wieder rausgekotzt. Klingt gut. Könnte meine Eintrittskarte in die Abteilung Verbrechen sein.« Eine Pause. »Herrgott, das hat sich jetzt wirklich übel angehört, stimmt’s? Wird Zeit, dass ich mir einen anderen Job suche.« Ein Rascheln, als sie nach ihrer Tasche griff. »Sehn wir uns dort?«
Prostituierte? Messermord? Hässlich? Und Jack the Ripper war nicht in seinem Portal, wo er Hull zufolge hätte sein sollen?
»Ich bin gleich da.«
Einen halben Häuserblock vom Schauplatz entfernt hielt ein Taxi neben uns. Nick stieg aus, dann Antonio; Jeremy bezahlte den Fahrer. Hull war noch bei ihnen.
»Mr. Hull macht sich Sorgen«, sagte Antonio. »Wenn dies hier unser« – ein Blick zu der Menschenmenge auf dem Gehweg hinüber – »berüchtigter Freund gewesen sein sollte, möchte er lieber nicht allein sein.«
»Sag ihm einfach, er soll uns nicht in die Quere kommen«, sagte Clay.
Ich bin noch nie an einem Mordschauplatz gewesen. Jedenfalls nicht, solange es noch ein aktiver Mordschauplatz war. Ich habe mich vom Verbrechensjournalismus immer ferngehalten. Ich hätte Probleme damit, einfach mit einem Opfer zu reden, nur die Geschichte zu notieren, ohne etwas unternehmen zu können. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Werwolf bin, oder vielleicht liegt es einfach an mir.
Dieses
Opfer sagte nichts, aber alle anderen taten es. Das war das Erste, was mir auffiel – das Stimmengewirr, als wir um die Ecke bogen. So viel zum Thema Achtung der Totenruhe.
Die Leiche war in einem Durchgang in der Nähe einer Kreuzung gefunden worden, an der das großstädtische Nachtleben pulsierte – jedenfalls der Teil des Nachtlebens, der ohne Lizenz auskam. Es sah so aus, als ob jeder Mensch in den benachbarten Blocks davon gehört hatte und zum Schauplatz gerannt war. Die Polizei hatte den Gehweg auf beiden Seiten abgesperrt, aber das hatte die Menschenmenge nur auf die Fahrbahn hinausgedrängt.
Wir trennten uns, um so viel abzudecken, wie wir konnten. Clay und ich standen am Rand der Menschenmenge und spitzten die Ohren, in der Hoffnung, zu hören, was die Leute wussten.
»Elena?«
Eine kleine Frau mit dunklen Locken winkte und kam dann mit großen Schritten auf mich zu. Dann blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte in gespieltem Unglauben auf meinen Bauch hinunter.
»Du lieber Gott. Wo kommt denn das auf einmal her?« Sie umarmte mich so stürmisch, dass ich beinahe hintenübergefallen wäre. »Herzlichen Glückwunsch.« Sie griff nach Clays Hand. »Rita Acosta, wir sind uns vor ein paar Jahren mal begegnet.«
Clay schüttelte ihr die Hand und murmelte eine Begrüßung, was für seine Verhältnisse geradezu freundlich war.
Rita schwenkte die Hand zu der Menschenmenge hin. »Keinerlei Hoffnung drauf, einen Blick auf die Leiche werfen zu können, aber in deiner Verfassung solltest du das wahrscheinlich auch nicht tun.«
Ein schrilles Quieken kam aus dem Durchgang. Clay fuhr herum; seine Augen wurden schmal.
»Ist das …?«, begann ich.
»Eine Ratte«, sagte er mit verzogenen Lippen.
Rita nickte. »Sie haben jetzt einen Ungezieferspezialisten geholt, aber es ist eine ziemliche Schweinerei. Die müssen rausgekommen sein, sobald sie das Blut gerochen haben. Ich hab gehört, die ersten Polizisten, die am Schauplatz aufgetaucht sind, haben die Drecksviecher wegprügeln müssen. Deswegen hat der Neue
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