Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Reaktion bestand darin, dass sie Tara Grimm einen Blick zuwarf und dann Colin und mir antwortete, Kathleen habe sich beschwert, es sei ein Fehler gewesen, etwas zu essen, bevor sie in die Hitze hinausgegangen sei. Vielleicht habe sie wegen der zu reichhaltigen Mahlzeit Verdauungsstörungen und Sodbrennen, sie sei nicht sicher. Allerdings habe Kathleen sich immer über das Essen im GPFW beklagt, teilte Officer Slater uns mit.
Kathleen habe über das Essen »genörgelt«, ganz gleich ob es ihr in Haus Bravo in die Zelle gebracht wurde oder ob sie die Mahlzeiten im Speisesaal einnahm. Ständig habe sie über Essen geredet. Entweder sei es schlecht oder nicht genug gewesen, »aber etwas zu meckern hatte sie immer«, verkündete Officer Slater. Ihr Tonfall und ihr unsteter Blick beim Reden haben in mir dasselbe Gefühl ausgelöst, das ich auch bei meinem gestrigen Gespräch mit Kathleen hatte: Officer Slater hielt sich an die Anweisungen der Direktorin, nicht an die Wahrheit.
»Was macht Benton gerade?«, frage ich Lucy.
»Er telefoniert mit der Außenstelle des FBI in Boston.«
»Gibt es Neuigkeiten?« Ich will wissen, wie es um Dawn Kincaid steht.
»Keine Ahnung. Er steht auf der Rampe, damit ihn niemand hört, aber er macht ein ziemlich ernstes Gesicht. Möchtest du mit ihm reden?«
»Ich will euch nicht aufhalten. Wir sprechen, wenn ihr da seid. Allerdings könntest du hier jemandem begegnen.« Damit spiele ich darauf an, dass sie Jaime Berger in die Arme laufen könnte, die es bis jetzt noch nicht für nötig befunden hat, meine Anrufe zu beantworten.
»Das ist vielleicht eher für sie ein Problem«, antwortet Lucy.
»Ich würde es vorziehen, wenn es für niemanden ein Problem wäre. Ich habe keine Lust auf eine Szene.«
»Ich muss den Sprit bezahlen.«
Der Geruch nach Kreosot und von der Sonne aufgeheizten Müllcontainern steigt mir in die Nase, als Colin und ich die Leichenhalle erreichen. Sie ist ein fensterloses Gebäude aus hellgelben Betonbausteinen, auf der einen Seite flankiert von einer Klimaanlage und einem leistungsstarken Notstromgenerator. Auf der anderen befindet sich die Anlieferungszone. Jenseits des Zauns schwanken hohe Nadelbäume im Wind. In der Ferne zucken Blitze zwischen schwarzen Wolkenbergen. Im Südwesten kann ich Regenfronten erkennen. Ein starkes Unwetter zieht von Florida heran. Das gewaltige Rolltor aus Metall ist offen. Wir gehen über eine betonierte Fläche zu einer anderen Tür, die Colin mit einem Schlüssel öffnet.
»Wir obduzieren im Jahr vielleicht zwei von ihnen und führen bei noch einmal fünf oder sechs eine Leichenschau durch, bevor wir den Totenschein ausstellen«, fährt er fort. Als Lucy anrief, war er gerade dabei, mir die übliche Vorgehensweise zu erklären, wenn im GPFW jemand stirbt.
»Ich an Ihrer Stelle würde jeden Todesfall seit Tara Grimms Amtsantritt noch einmal unter die Lupe nehmen.«
»Hauptsächlich haben wir es mit Krebs, Lungenerkrankungen, Erkrankungen der Leber und Herzversagen zu tun«, spricht Colin weiter. »Georgia ist nicht gerade bekannt dafür, Gefangenen mit tödlichen Krankheiten Haftverschonung zu gewähren. Das hätte uns gerade noch gefehlt. Ein Schwerverbrecher wird vorzeitig entlassen, weil er Krebs im Endstadium hat, und dann raubt er eine Bank aus oder erschießt jemanden.«
»Wenn eine Gefangene nicht im Hospiz eines hundertprozentig natürlichen Todes gestorben ist, würde ich nachforschen «, beharre ich.
»Ich denke darüber nach.«
»Ich würde jeden Fall noch einmal aufgreifen, der auch nur den kleinsten Grund für Zweifel bietet.«
»Damals gab es ehrlich gesagt keinen, doch Sie haben mich, rückblickend betrachtet, auf etwas gebracht. Shania Plames«, verkündet er. »Eine wirklich tragische Geschichte. Sie litt an Wochenbettdepression und Wahnvorstellungen und hat schließlich ihre Kinder getötet. Sie hat alle drei am Balkongeländer erhängt. Ihr Mann war Inhaber einer Fliesenhandlung in Ludowici und auf einem Angelausflug. Stellen Sie sich vor, beim Nachhausekommen so etwas vorzufinden.«
Er wirft einen Blick in das große schwarze Buch im Einlieferungsbereich, der mit einer Bodenwaage und einer begehbaren Kühlkammer ausgestattet ist. Außerdem gibt es hier noch ein kleines Büro mit Aktenschalen.
»Gut, sie ist da.« Er meint Kathleen Lawler.
»Ich nehme an, Shania Plames gehört auch zu denen, die im GPFW plötzlich verstorben sind.«
»Im Todestrakt«, erwidert er. »Vor etwa vier Jahren hat sie sich
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