Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
töten, was wir trinken, berühren oder einatmen. Oder essen. Ich erwähne Saxitoxin, Ricin, Fugu und Ciguatera und weise Sammy Chang auch auf Botulinumtoxin hin, das stärkste Gift der Welt mit dem Handelsnamen Botox.
»Man kann sich von Sushi doch auch eine Fischvergiftung holen, oder?« Er öffnet die Tür der Duschkabine.
»Clostridium botulinum, der anaerobe Organismus, der das Nervengift produziert, ist allgegenwärtig. Das Bakterium steckt in der Erde und im Bodensatz von Seen und Teichen. Nahezu jedes Nahrungsmittel und jede Flüssigkeit können damit verunreinigt werden. Falls das der Grund war, ist die Wirkung jedoch ungewöhnlich schnell eingetreten. Normalerweise setzen die Symptome frühestens nach sechs Stunden ein, meistens dauert es zwischen zwölf und sechsunddreißig Stunden.«
»Wie zum Beispiel bei den Konservendosen, die sich wölben, weil sich drinnen Gas gebildet hat«, antwortet er. »Wegen Botulismus.«
»Von Lebensmitteln übertragener Botulismus wird auf Fehler beim Konservieren, miserable Hygiene bei der Zubereitung oder auf mit Knoblauch oder Kräutern versetzte Öle zurückgeführt, die dann nicht gekühlt wurden. Auch auf schlecht gewaschenes rohes Gemüse oder in Alufolie gegarte Kartoffeln, die vor dem Servieren abgekühlt sind. Man kann ihn sich aus einer Menge von Quellen holen.«
»Würden Sie dieses Bakterium dann irgendwie züchten und es jemandem ins Essen tun, damit er an Botulismus stirbt?«, fragt Chang.
»Ich habe keine Ahnung, wie der Täter vorgegangen ist. Vorausgesetzt, wir haben es überhaupt mit Botulinumtoxin zu tun.«
»Aber das befürchten Sie.«
»Wir müssen es jedenfalls sehr ernst nehmen. Ausgesprochen ernst.«
»Wird es bei Giftmorden häufig verwendet?«
»Nein«, erwidere ich. »Mir ist kein Fall bekannt. Allerdings wäre Botulinumtoxin schwierig nachzuweisen, wenn man die Vorgeschichte nicht kennt und keinen Grund für diesen Verdacht hat.«
»Okay. Aber warum hat sie denn keinen Rettungswagen gerufen, wenn sie keine Luft mehr gekriegt hat und an all diesen anderen schrecklichen Symptomen litt?« Er fotografiert die Badesalze und Kerzen am Wannenrand. Lavendel und Vanille. Eukalyptus und Balsam.
»Sie würden sich wundern, wie viele Leute das nicht tun«, entgegne ich. »Sie glauben, dass es schon wieder wird oder dass es sich mit Hausmitteln kurieren lässt. Und irgendwann ist es dann zu spät.«
Ich öffne das Bikalm-Döschen. Der übliche Aufkleber, auf dem die Namen des Patienten und des Arztes sowie das Datum vermerkt sind, verrät mir, dass das Rezept vor zehn Tagen eingelöst wurde, und zwar in demselben Drugstore mit integrierter Apotheke unweit des Gefängnisses, wo ich gestern das öffentliche Telefon benutzt habe. Dreißig Tabletten zu je zehn Milligramm. Ich zähle sie.
»Es sind noch achtzehn übrig.« Ich schütte die Tabletten zurück in das Döschen und nehme mir das Tavor vor. »Um dieselbe Uhrzeit und in derselben Apotheke eingelöst, wo sie offenbar ihre meisten Einkäufe erledigt hat. Monck’s. Ein Apotheker namens Herb Monck.«
Vermutlich der Inhaber. Ich erinnere mich an den Mann im weißen Kittel, bei dem ich gestern das Ibuprofen gekauft habe. Eine Apotheke, die auch liefert, fällt mir ein. Noch am selben Tag frei Haus , haben die Schilder im Laden versprochen. Ich frage mich, ob Jaime sich nicht nur Lebensmittel hat liefern lassen.
»Achtzehn Tabletten zu einem Milligramm übrig«, teile ich Chang mit. »Der Arzt, der ihr die beiden Medikamente verschrieben hat, heißt Carl Diego.«
»Wenn sich jemand umbringen will, schluckt er meistens den gesamten Inhalt der Dose.« Chang zieht die Handschuhe aus und greift in die Tasche seiner Cargohose. »Dann wollen wir mal sehen, wer dieser Dr. Diego ist.« Er holt sein Black- Berry heraus.
»Keinerlei Hinweis auf eine Überdosis mit Selbstmordabsichten «, betone ich.
Als ich Schubladen und Schränke öffne, stoße ich auf Parfum- und Kosmetikpröbchen. Sicher hat Jaime sie kostenlos im Kaufhaus oder, was noch wahrscheinlicher ist, beim Einkaufen im Internet bekommen. Das Leben frei Haus. Und schließlich der Tod, getarnt als Sushitüte und an mich übergeben.
»Ein Doc in New York, in der Eighty-first East. Vielleicht ihr Hausarzt oben im Norden, der ihr das Rezept hierhergeschickt hat.« Chang sucht im Internet. »Falls ihr absichtlich etwas ins Essen getan wurde, muss es geruch- und geschmacklos gewesen sein, richtig? Insbesondere bei Sushi.«
»Ja«, stimme ich zu.
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