Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
»Geschmacklos, so weit wir wissen.«
»Was soll das heißen?«
»Wenn man ein Gift schmeckt, ist man anschließend wohl kaum noch in der Lage, den Geschmack zu beschreiben.«
»Und welche starken Gifte kämen da in Frage?« Er steckt das BlackBerry wieder ein, zieht frische Handschuhe an, verstaut die gebrauchten in einer Asservatentüte und verschließt diese, damit sie gefahrlos entsorgt werden können.
»Chemische und biologische Kampfstoffe, die in Labors hergestellt und von unserem eigenen Militär als Waffe eingesetzt werden. Der Gedanke daran ist furchterregend.«
28
Wir kehren zurück ins Schlafzimmer, wo Colin auf und ab geht und dem Transportdienst telefonische Anweisungen gibt. Er hat Jaimes Leiche mit einem Einweglaken abgedeckt, eine Geste voller Respekt, zu der er nicht verpflichtet gewesen wäre. Der Widerspruch fällt mir auf. Er hat Jaime gegenüber mehr Einfühlungsvermögen bewiesen, als sie es je getan hat.
»Sie sollten sie in mindestens zwei Leichensäcke verpacken«, spricht er ins Telefon, während er vor den Fenstern auf und ab geht. Da die Vorhänge noch geschlossen sind, lässt sich die Tageszeit schlecht schätzen. Ich stelle fest, dass es unverändert heftig weiterregnet. Die Tropfen prasseln auf das Dach und gegen die Scheiben. »Ja, richtig, genau dieselben Vorsichtsmaßnahmen wie bei Quarantäne, weil wir noch nicht wissen, womit wir es zu tun haben.«
»Fentanyl und Rohypnol, also K.-o.-Tropfen, und Nervengase wie Tabun und Sarin, außerdem Anthrax«, arbeite ich mit Chang die Liste durch. »Allerdings wirken einige davon extrem schnell. Wenn ihr also jemand Rohypnol oder Fentanyl ins Essen getan hätte, hätte sie das Abendessen nicht überlebt. Ich denke, wir sollten hauptsächlich nach Clostridium botulinum Ausschau halten.«
»Botulismus. Weshalb steht das bei Ihnen ganz oben auf der Liste?«
»Wegen der geschilderten Symptome.«
»Es ist eine seltsame Vorstellung, jemanden mit einem Bakterium zu vergiften.«
»Nicht mit dem Bakterium selbst, sondern mit dem Toxin, das es produziert«, verbessere ich ihn. »Das wäre eine Möglichkeit. Beim Militär existieren bereits einschlägige Pläne. Man setzt nicht das Bakterium als Waffe ein, man nimmt das Gift, das geruch-, geschmacklos und außerdem einfach zu beschaffen ist, weshalb sich die Herkunft schwer nachvollziehen lässt. Für einen Maustest haben wir keine Zeit. Übrigens nicht sehr nett, so etwas mit einer Maus zu machen. Man spritzt ihr nämlich ein Serum und wartet ein paar Tage ab, um zu sehen, ob sie stirbt.«
Colin hält die Hand über die Sprechmuschel. »Was war das mit Botulismus?«, fragt er mich.
Ich erkläre ihm, dass wir die Leiche darauf testen sollten.
»Haben Sie eine bestimmte Vermutung?«
Ich antworte, ich hätte eine Ahnung.
Er nickt und telefoniert weiter mit dem Transportdienst. »Genau. Auf die übliche Methode mit einer Bahre und Säcken, die wirklich dicht sind. Ich weiß, dass das auf keinen hundertprozentig zutrifft. Also nehmen Sie zwei oder drei. Anschließend sterilisieren Sie sie mit Dampf oder verbrennen sie. Ebenso wie die getragene Schutzkleidung, die Handschuhe und was sonst noch alles kontaminiert wurde. Dasselbe Prozedere, als wenn Sie es mit Hepatitis, HIV, Meningitis oder einer Blutvergiftung zu tun hätten. Verwenden Sie die Säcke um Himmels willen nicht wieder, darauf muss ich bestehen. Und reinigen und desinfizieren Sie alles gründlich. Bleiche … Ja, das würde ich.«
»Ihre Vermutung?«, erkundigt sich Chang.
»Es ist ein Gift, das aggressiv wirkt. Eine Blitzattacke«, entgegne ich. »Testen Sie auf alles, was Ihnen einfällt. Aber zuerst auf Botulinum, alle Serotypen. Und das so schnell wie möglich. Das heißt, sofort. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden sind zwei Menschen gestorben und einer liegt auf der Intensivstation. Wir können es uns nicht leisten, tagelang auf ein altmodisches Testergebnis zu warten, wenn es neuere und schnellere Methoden gibt. Monoklonale Antikörper oder Elektrochemilumineszenz, die meines Wissens nach am USAMRID, dem Militärischen Forschungszentrum für Infektionskrankheiten in Fort Detrick, durchgeführt wird. Ich kann mich gern mit dem Institut in Verbindung setzen und auch meine Hilfe bei den Tests anbieten. Allerdings wäre das CDC die schnellste und praktischste Lösung. Weniger Papierkrieg. Außerdem gibt es dort sicher ein Analysegerät für biologische Wirkstoffe wie Botulinum, Nervengifte, von Staphylokokken erzeugtes
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