Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
und gelbem Jasmin auf Rankgerüsten, die die beiden Grundstücke trennt.
»Und da ist ihm die zerbrochene Scheibe in der Küchentür der Jordans aufgefallen«, fährt Marino fort. »Er hat mir erzählt, in der Küche und in einigen Zimmern im Obergeschoss habe Licht gebrannt. Seine erste Befürchtung sei gewesen, dass sein Hund von einem Einbrecher geweckt worden sein könnte. Also ist er wieder nach Hause gegangen und hat die Jordans angerufen. Aber es hat sich niemand gemeldet. Als Nächstes hat er die Polizei verständigt, die gegen fünf eintraf und die Küchentür offen und die Alarmanlage abgeschaltet vorfand. Sie sind dann rein und entdeckten die Leiche des kleinen Mädchens unten an der Treppe in der Nähe der Eingangstür.«
Ich betrachte das ehemalige Anwesen der Jordans, etwa viertausend Quadratmeter bewaldeter Grund mit hohen Laternen, deren Masten lange Schatten werfen. Die Auffahrt ist mit Granitkieseln bestreut. Ein Weg aus Schieferplatten führt davon weg und vorbei am Carport zur Küchentür, die ich nur sehen könnte, wenn ich ausstiege und mich des Hausfriedensbruchs schuldig machte.
»Kurz nach den Morden ist er nach Memphis gezogen«, spricht Marino weiter. »Einige Nachbarn zu beiden Seiten haben sich eine neue Bleibe gesucht, und wie ich gehört habe, sind die Immobilienpreise als Folge des Verbrechens ziemlich in den Keller gerutscht. Kaum einer der Leute, die damals in einem Umkreis von einigen Blocks in der Nähe des Tatorts gewohnt haben, ist heute noch hier. Soweit ich weiß, ist das Haus der Jordans eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten bei Gruseltouren, besonders deshalb, weil gleich gegenüber der berühmteste Friedhof von Savannah liegt, wo viele dieser Führungen anfangen und enden.«
Marino greift nach hinten. Papier raschelt, und er fördert zwei Wasserflaschen zutage.
»Hier.« Er reicht mir eine. »Ich habe das Gefühl, dass ich den ganzen Tag lang nichts anderes getan habe als zu schwitzen. Die Route der Touren wird zu Fuß abgegangen«, berichtet er weiter von Savannahs Spukhäusern, die massenhaft Touristen anziehen. »Einige auch nachts bei Kerzenlicht. Sicher kannst du dir vorstellen, wie es nach einer Weile nervt, wenn man in diesem Haus oder in der Nähe wohnt und ständig von Touristen begafft wird, während ein Fremdenführer den Mord an der Familie schildert. Ich wage gar nicht, mir auszumalen, was hier jetzt los sein wird, nachdem die Nachrichten gebracht haben, dass für Lola Daggette ein neuer Hinrichtungstermin festgesetzt wurde. Jetzt ist der Fall Jordan wieder in aller Munde.«
»Warst du schon mal tagsüber hier?«, frage ich.
»Nicht im Haus selbst.« Er trinkt lautstark einen Schluck. »Ich bin nicht sicher, ob das neun Jahre nach der Tat noch etwas bringen würde. Das Haus hat inzwischen mehrmals den Besitzer gewechselt. Sicher wurde innen viel verändert. Außerdem ist der Tathergang meiner Ansicht nach ziemlich klar. Dawn Kincaid hat die Glasscheibe eingeschlagen, hineingegriffen und einfach aufgeschlossen. Wahrscheinlich hat Jaime dir erzählt, dass der Schlüssel im Schloss steckte, ein dummer Fehler, der den Leuten immer wieder passiert. Erst bringen sie neben Glasscheiben oder Fenstern einen Riegel an, und dann lassen sie den Schlüssel stecken. Man kann es sich aussuchen. Entweder ist man eingesperrt, falls es brennt, oder man erleichtert es anderen, einzubrechen und einen im Schlaf zu ermorden.«
»Laut Jaime hast du dich auch mit der Frage beschäftigt, warum die Alarmanlage nicht eingeschaltet war. Wer hat sie eingebaut? Haben die Jordans sie regelmäßig aktiviert? Sie sagte, sie hätten damit aufgehört, weil es ständig Fehlalarme gab.«
»Genau.«
»Eines ist mir jedoch aufgefallen, seit wir hier auf der Straße stehen«, füge ich hinzu. »Man kann die Küchentür nicht sehen. Jemand, der vorbeigeht oder -fährt, bemerkt auf den ersten Blick nicht, dass es auf der rechten Seite eine Tür gibt, weil der Carport die Sicht versperrt.«
»Aber der Plattenweg, der nach hinten führt, lässt auf eine Tür schließen«, wendet Marino ein.
»Das könnte auch einfach nur ein Gartenweg sein. Man muss sich also vergewissern.« Ich schraube meine Wasserflasche auf. »Wichtig ist, dass man die Küchentür von der Straße aus nicht einsehen kann. Für mich ist das ein Hinweis darauf, dass die Person, die vor neun Jahren hier eingebrochen ist, wusste, dass die Tür dort hinten eine Glasscheibe hatte und mit einem Riegel ausgestattet war, in dem
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