Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
man den Zaun aufgestellt.«
»Der macht auf mich nicht den Eindruck eines Menschen, der untätig zuschaut, wie jemand unschuldig hingerichtet wird.« Wieder drückt Marino auf die Gegensprechanlage.
»Wenn er so ein Mensch wäre, wären all die Sicherheitsvorkehrungen hier überflüssig.« Ich füge nicht hinzu, dass Jaime Berger Colin Dengate völlig falsch einschätzt. Schließlich möchte ich Marino nicht schon wieder vor Augen halten, dass die Anwältin, mit der er so gern zusammenarbeiten möchte, nur an ihre eigenen Interessen denkt und weder aufrichtig noch ein guter Mensch ist.
Eine Frauenstimme hallt aus dem Lautsprecher. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Wir sind Dr. Scarpetta und Ermittler Marino und haben einen Termin mit Dr. Dengate«, erwidert er, während ich meine Nachrichten auf dem iPhone abfrage.
Benton und Lucy sind gerade in Millville, New Jersey, gelandet, um aufzutanken. Das hat Lucy mir vor elf Minuten geschrieben. Wegen des heftigen Südwestwinds direkt von vorn kommen sie nur schlecht voran. Außerdem hat Benton mir eine sehr beunruhigende Nachricht geschickt:
D.K. nicht mehr im Butler. Gebe Bescheid, wenn ich mehr weiß. Sei vorsichtig .
Ein lautes Surren ertönt, als das Metalltor langsam auf seiner in den Asphalt eingelassenen Metallschiene aufgleitet. Vor mir sehe ich das Labor mit seinen verputzten Wänden und Backsteinmauern. Es hat zwar nur eine Etage, nimmt aber eine ziemlich große Grundfläche ein. Auf dem Parkplatz davor stehen weiße SUV mit dem goldblauen Emblem des GBI an den Türen. Außerdem der weiße Land Rover mit dem olivgrünen Verdeck, den Colin Dengate fährt, seit ich ihn kenne.
»Wirst du Dr. Dengate von den neuen DNA-Befunden erzählen? «, erkundigt sich Marino. Ich überlege, ob ich Bentons SMS erwähnen soll. An etwas anderes kann ich im Moment nicht denken.
Fahnen hängen schlaff an ihren Masten. Kein Lüftchen regt sich. Der Fußweg wird von karminrotem Zylinderputzer gesäumt. An der Rasenkante befinden sich die Düsen der Sprinkleranlage, die ihn bewässert. Wir parken in einer Besucherlücke vor den reflektierenden Fenstern des Erdgeschosses, die kugelund bruchsicher sind und auch einem Sprengstoffanschlag standhalten würden. Meine Gedanken kreisen um die Tatsache, dass Dawn Kincaid offenbar aus dem Butler State Hospital für psychisch kranke Straftäter geflohen ist.
Wenn das stimmt, wird es bald einen neuen Todesfall geben. Vielleicht sogar mehr als einen. Da bin ich sicher. Sie ist beängstigend gerissen und eine Sadistin und hat in ihrem kaputten, von Mordlust geprägten Leben bis jetzt stets ihren Willen durchgesetzt, ohne dass jemand sie hätte aufhalten können. Ich habe sie zwar ausgebremst, aber mehr nicht, und es ist reines Glück, dass es mich heute noch gibt. Als die Gischt der Sprinkler mein Gesicht trifft, erinnere ich mich daran, wie ich mit ihrem Blut bespritzt worden bin. Wieder habe ich den salzigen und metallischen Geschmack im Mund, auf den Zähnen und auf der Zunge. Einen blutigen Nebel im Gesicht und in den Haaren. Tara Grimm hat angedeutet, Kathleen Lawler könnte vorzeitig entlassen werden. Ich überlege, ob Dawn Kincaid vielleicht hierherwill.
»Hey? Du machst ein Gesicht, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
Mir wird klar, dass Marino mit mir redet.
»Tut mir leid«, antworte ich, während ich die Tür des Transporters aufschiebe.
»Erzählst du ihm von der DNA?«, wiederholt er.
»Nein, auf gar keinen Fall. Das ist nämlich nicht meine Aufgabe. Ich sehe mir die Fälle lieber unvoreingenommen an. Ich bin für alles offen.« Ich hole tropfnasse Wasserflaschen aus der Kühlbox. »Keine Ahnung, wann du das Eis reingetan hast«, stelle ich fest. »Jedenfalls könnten wir inzwischen wahrscheinlich Tee damit kochen.«
»Wenigstens ist es flüssig.« Er greift nach einer Flasche.
»Ich komme gleich nach. Ich muss vorher kurz telefonieren.« In der Hoffnung, dass Benton und Lucy noch nicht gestartet sind, stelle ich mich in den Schatten eines Baumes, wo es allerdings auch nicht kühler ist.
»Gut, dass du noch da bist«, sage ich erleichtert, als er sich meldet. »Das mit dem Wind ist wirklich dumm. Tut mir leid, dass ich euch gebeten habe, unter diesen Umständen nach Savannah zu kommen.«
»Der Wind ist meine geringste Sorge. Der führt nur zu einer Zeitverzögerung. Geht es dir gut?«
»Ich bin für dieses Wetter falsch angezogen.«
»Ich trinke gerade einen Kaffee, während Lucy den Sprit bezahlt. In New
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