Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Mailbox an.
»Jaime, ich bin es, Kay«, hinterlasse ich ihr eine Nachricht. »Es hat im Norden eine neue Entwicklung gegeben, und ich werde den Verdacht nicht los, dass du davon weißt.« Ich bemerke, wie vorwurfsvoll ich klinge, so als sei der Vorfall ihre Schuld, was ja vielleicht sogar der Fall ist.
Dawn Kincaid führt etwas im Schilde, da sie von der DNA erfahren hat. Da bin ich ganz sicher. Jaime ist entweder naiv, oder sie verschließt die Augen vor der Wahrheit, wenn sie etwas anderes annimmt. Bei genauerer Betrachtung könnte noch eine ganze Reihe anderer Leute im Bilde sein, und zwar Personen, die die Möglichkeit haben, uns Schwierigkeiten zu machen. Jedenfalls glaube ich nicht, dass die Angelegenheit so geheim ist, wie Jaime vermutet. Sie hat da eine extrem gefährliche Sache in Gang gebracht.
»Ruf mich an, sobald du diese Nachricht abgehört hast«, fordere ich sie in einem Tonfall auf, der zeigt, dass ich es ernst meine. »Sollte ich nicht rangehen, versuch es in Colins Büro und bitte jemanden, mich ans Telefon zu holen.«
16
Colin Dengate hat rotes Haar, das allmählich ergraut. Er trägt es sehr kurz geschnitten. Der gestutzte Schnurrbart, der seine Oberlippe ziert, erinnert an einen rostigen Schmierer. Colin ist gedrungen, ohne ein überflüssiges Gramm Fett am Körper. Wie viele Rechtsmediziner hat er viel Sinn für Humor und kann zuweilen richtig albern sein.
Als der Chief Medical Examiner des Staates Georgia mich durch seine Büroräume führt, gehe ich an einem für den Mardi Gras verkleideten Skelett vorbei und unter Mobiles hindurch, an denen sich Knochen, Fledermäuse, Spinnen und Gespenster langsam im kühlen Luftzug der Klimaanlage drehen. Gruselmusik und Hexengekicher als Klingelton kündigen Colins Frau an, die den Fahrradschlüssel ihrer Tochter nicht finden kann, worauf er zum Bolzenschneider rät. Ein unheimlicher Dreiklang aus Star Trek , der auf unserem Weg einen Flur entlang ertönt, ist das Erkennungszeichen eines GBI-Ermittlers namens Sammy Chang, der Colin mitteilt, er räume gerade den Schauplatz eines tödlichen Verkehrsunfalls auf dem Harry Truman Parkway. Die Leiche werde soeben abtransportiert.
»Und wenn ich am Apparat bin?« Ich bin neugierig, welchen Klingelton Colin mir zugedacht hat.
»Sie rufen ja nie an«, erwidert er. »Aber lassen Sie mich nachdenken. Vielleicht ›Never Trust a Woman‹ von den Grateful Dead. Habe sie in meiner Jugend ein paarmal auf Tournee gehört. Die Musik heutzutage ist nicht mehr das, was sie einmal war. Wahrscheinlich gilt das auch für die Menschen.«
Ich habe Marino im Pausenraum zurückgelassen, wo er Kaffee trank und mit einer Toxikologin namens Suze flirtete, die einen geflügelten Totenschädel auf dem Bizeps eintätowiert hat. Colin möchte unter vier Augen mit mir sprechen. Bis jetzt war er trotz des Grundes meines Besuchs freundlich zu mir.
»Kann ich Ihnen einen Kaffee oder ein Vitaminwasser anbieten? « Wir treten in sein Eckbüro, das einen Blick auf die Anlieferungszone hinter dem Gebäude bietet. Gerade ist ein großer Transporter vorgefahren. »Bei diesem Wetter ist Kokoswasser am besten. Hebt den Natriumspiegel. Einige Mineralwässer enthalten Elektrolyte, was bei dieser Hitze auch nicht zu verachten ist. Womit kann ich Ihnen also etwas Gutes tun?«
Sein Georgia-Akzent ist nicht so gedehnt wie bei den meisten Einheimischen. Außerdem spricht er für diese Region ziemlich schnell und nachdrücklich. Ich trinke einen Schluck lauwarmes Wasser aus Marinos Kühlbox.
»Dass ich zuletzt in Florida oder Charleston solchem Wetter ausgesetzt war, ist schon eine Weile her«, erwidere ich. »Außerdem hat Marinos Transporter keine Klimaanlage.«
»Ich verstehe nicht, warum Sie sich so warm angezogen haben, außer Sie sind auf einen Hitzschlag aus.« Er mustert meine schwarze Kleidung. »Ich bleibe normalerweise beim OP-Anzug. « Er trägt auch jetzt einen, aus Baumwolle und pfefferminzfarben. »Die kühlen angenehm. Um diese Jahreszeit ist das einzig Schwarze an mir meine schlechte Laune.«
»Das ist eine lange Geschichte, für die Ihnen vermutlich die Zeit fehlt. Offen gestanden wäre ein kaltes Wasser nicht schlecht.«
»Eine seltsame Sache mit Klimaanlagen in Autos.« Er öffnet einen kleinen Kühlschrank hinter seinem Bürostuhl, holt zwei Wasserflaschen heraus und reicht mir eine. »Hier in dieser Gegend hat nicht jeder eine. Nehmen wir zum Beispiel meinen Land Rover. Der ist Baujahr 1983, und ich habe ihn seit
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