Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
gekommen, weil ich zugesagt hatte, im Georgia Prison for Women eine Insassin namens Kathleen Lawler zu besuchen«, setze ich an und frage mich dabei, wo ich beginnen soll.
Er nickt bereits. »Das hat Berger mir erzählt«, antwortet er. »Sie sagte, Sie wollten sich mit einer Gefangenen im GPFW treffen, umso mehr ein Grund, mich zu wundern, warum Sie mich nicht selbst angerufen haben, um ein Schwätzchen zu halten und vielleicht zusammen zum Mittagessen zu gehen.«
»Jaime hat mich Ihnen angekündigt?«, hake ich nach, während ich mich frage, was sie ihm und anderen sonst noch mitgeteilt und wie viel davon sie so zurechtgebogen hat, dass es ihr in den Kram passt. »Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet und ein Mittagessen vorgeschlagen habe. Aber ich dachte wirklich, ich würde sofort wieder abreisen.«
»Ständig haben wir sie am Telefon«, spricht er weiter über Jaime. »Inzwischen kennt das ganze Sekretariat ihren Namen.« Das Bonbon rutscht von einer Wange in die andere, als husche ein kleines Tier in seinem Mund herum. »Lecker, nicht wahr? Außerdem haben sie eine lindernde Wirkung. Ich habe so viele verschiedene Halsbonbons ausprobiert, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann, aber vergeblich. Doch die hier sind gut und beruhigen die Schleimhäute. Außerdem sind sie salz- und glutenfrei. Keine Konservierungsmittel und, ganz wichtig, kein Menthol. Dass Menthol ein Allheilmittel für den Hals ist, ist nämlich ein weitverbreiteter Irrglaube. Es führt nämlich zu vorübergehenden Stimmbandaussetzern.« Er lutscht an dem Bonbon und blickt dabei zur Decke wie ein Sommelier, der einen komplexen Grand Cru verkostet. »Ich habe angefangen, in einem Barbershop-Quartett zu singen«, fügt er hinzu, als ob das alles erklären würde.
»Ich wollte also nur ganz kurz und aus einem anderen Grund in Savannah bleiben und wurde gestern Abend davon in Kenntnis gesetzt, dass für mich ein Termin mit Ihnen vereinbart wurde. Offenbar sind Sie nicht so kooperativ, wie Berger es sich wünschen würde«, sage ich. »Ich habe ihr erklärt, dass Sie zwar ein bisschen dickköpfig, doch kein Redneck sind.«
»Nun, ich bin aber einer«, entgegnet er. »Allerdings verstehe ich allmählich, warum Sie sich nicht selbst bei mir gemeldet haben, und fühle mich jetzt ein bisschen besser, denn ich war zunächst ein wenig befremdet. Vielleicht war das dumm von mir. Das war eben meine erste Reaktion, als ich aus heiterem Himmel von ihr und nicht etwa von Ihnen gehört habe. Meine persönlichen Gefühle mal beiseite. Ich begreife nämlich besser, als Sie ahnen, was da gespielt wird. Jaime Berger neigt ein wenig zur Theatralik, und es passt ihr eben ins Konzept, dass ich ein konservativer und bigotter Südstaatler bin, der gegen sie mauert, weil er Lola Daggette die Giftspritze wünscht. So frei nach dem Motto: Bringt sie alle um und überlasst das Aussortieren dem lieben Gott . So denken doch alle südlich der Mason- Dixon-Linie. Und westlich davon.«
»Jaime behauptet, Sie seien nicht rausgekommen, um sie zu begrüßen, als sie hier war, und hätten sie ignoriert.«
»Natürlich habe ich sie nicht begrüßt, verdammt. Ich habe gerade mit einer bedauernswerten Frau telefoniert, die mir nicht glauben wollte, dass ihr Mann Selbstmord begangen hat.« Er betrachtet mich argwöhnisch. Seine Stimme wird lauter und klingt empört. »Dass sich nicht versehentlich ein Schuss gelöst hat, als er draußen war, Bier trank und nach seinen Krabbentöpfen sah. Und dass er sie, bevor er an jenem Abend raus ist, umarmt hat, außergewöhnlich guter Stimmung schien und ihr sagte, dass er sie liebe, bedeute nicht, dass er sich nicht mit Selbstmordgedanken trug. Außerdem habe mein Befund im Autopsiebericht und im Totenschein leider zur Folge, dass die Lebensversicherung nicht zahlen würde. Also war ich voll und ganz damit beschäftigt, jemandem eine richtige Hiobsbotschaft zu überbringen, als Berger, aufgetakelt wie an der Wall Street, hier hereingerauscht kam. Und dann blieb sie einfach in der Tür stehen, während die Frau am Telefon Rotz und Wasser geheult hat. Da kann ich doch nicht einfach auflegen, verdammt, um einer aufdringlichen Anwältin aus New York einen Kaffee anzubieten.«
»Ich sehe, Ihre Einstellung ihr gegenüber ist ganz sachlich«, merke ich trocken an.
»Ich habe hier den Fall Jordan für Sie, einschließlich Tatortfotos, die Sie sicher hilfreich finden werden. Schauen Sie sich alles an und bilden Sie sich selbst eine
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