Blut für Blut: Thriller (German Edition)
trocknete er sich mit dem Handrücken die Tränen ab und sah sie verlegen an.
»Entschuldigung. Die Gefühle übermannen mich im Moment dauernd.«
»Natürlich tun sie das.« Rebekka blätterte in dem Stapel Fotos, die auf dem Esstisch verstreut lagen. »Das sind schöne Fotos. Sie haben gesagt, dass Sie selbst einmal viel fotografiert haben?«
»Das mache ich hin und wieder immer noch. Ich liebe es, eine Kamera in der Hand zu halten. Ich habe immer fotografiert. Als Kind habe ich einen Fotokurs gemacht, und wenn ich irgendwann einmal genug von der Malerei haben sollte, verlege ich mich aufs Fotografieren.«
Ein Schwarz-Weiß-Foto erregte Rebekkas Aufmerksamkeit. Es war ein Porträt einer jungen Frau, die mit großen, dunklen Augen direkt in die Linse sah. Der Blick war fest, fast hart, während die Lippen leicht offen und feucht waren und ein paar weiße, regelmäßige Zähne enthüllten. Sie trug eine dicke Mohairjacke, und Rebekka erinnerte sich, dass sie einmal eine ähnliche gehabt hatte, als sie jung war.
»Sie haben ihren Ausdruck gut eingefangen, ihre Verletzbarkeit und diese merkwürdige Ambivalenz – sie flirtet und scheint gleichzeitig gereizt.« Rebekka zeigte auf die Fotografie, und Thomas zuckte leicht mit den Schultern.
»Danke, ich denke, das könnte man besser machen, aber damals hatte ich nicht so viel Routine.«
»Zu Anfang unseres Gesprächs haben Sie erzählt, dass Ihre Mutter Ihnen neulich ihr Auto geliehen hat?«
Thomas nickte freundlich.
»Sie war so nett, es mir zu leihen, einen weißen Polo. Ich bin noch nicht mit ihm gefahren, er steht unten im Hof. Wir können zusammen hinuntergehen.«
»Das ist in Ordnung. Wir überprüfen nur, ob er noch dasteht.«
Kurz darauf verabschiedeten sie sich, und Thomas brachte sie hinaus, während er sich überschwänglich bei ihnen bedankte.
»Es hilft mir so, von meiner Mutter zu sprechen, das ist so, als würde sie noch ein klein wenig leben, als wäre sie noch nicht ganz weg. Ich hoffe so sehr, dass Sie den, der das getan hat, so bald wie möglich finden.« Ihm kamen erneut die Tränen, und Rebekka nickte und nahm seine Hand.
»Sie hören von uns.«
Thomas lächelte sie warm an.
»Ich würde mich freuen«, sagte er und schloss die Tür.
____
Rebekka war überrascht, Brodersen zusammen mit einem großen, kräftig gebauten Mann in ihrem Büro vorzufinden, und noch überraschter, dass sie dabei waren, in ihren Akten zu wühlen. Sie hatte Reza am Rådhusplads abgesetzt, nachdem sie überprüft hatten, dass Kissis Auto wirklich im Hof stand. Er musste noch etwas erledigen, hatte er gesagt, und sie hatten verabredet, dass Rebekka kurz im Büro vorbeifahren und alles für morgen vorbereiten würde. Brodersen wandte ihr das Gesicht zu, als sie eintrat.
»Gut, dass du kommst. Wir suchen nach den Akten zu dem Überfall und der Vergewaltigung von Louise Kristiansen …«
Sie nickte und hängte ihren Mantel an den Haken in der Ecke.
»Die gelbe Mappe dort.« Sie zeigte auf einen Stapel Mappen aus harter Pappe, in dem der fremde Mann gerade blätterte.
Brodersen nickte.
»Rebekka, das ist Niclas Lundell. Von der Reichskriminalpolizei in Stockholm. Wie ich bei dem Briefing gesagt habe, wird Niclas im Fall Louise Kristiansen und in den anderen Vergewaltigungsfällen ermitteln.« Brodersen deutete auf den Mann hin, der Rebekka schnell eine große Hand hinstreckte. Sie ergriff sie.
»Darf ich dir Rebekka Holm vorstellen. Sie hat ihre glänzende Karriere bei der mobilen Spezialeinheit zu unseren Gunsten aufgegeben. Rebekka ist eine unserer erfahrensten Ermittlerinnen, sie hat sich auf kognitive Verhörtechnik spezialisiert und erzielt damit gute Ergebnisse.« Brodersen nickte jovial, und der schwedische Polizeibeamte sah sie kurz an, bevor er sich wieder in die Unterlagen vertiefte.
Rebekka setzte sich an ihren Computer. Ihre Mailbox war voll mit ungelesenen Nachrichten.
»Was war hier los?«
Brodersen fuhr sich mit der Hand durch das kurz geschnittene Haar. »Wir haben eine Pressekonferenz abgehalten und Kissi Schacks Namen freigegeben. Die Identität der Ermordeten hat die Presse fast Amok laufen lassen. Die Jagd auf die beste Story und die besten Fotos für die morgige Ausgabe hat begonnen.«
Rebekka nickte. Das Verhältnis von Polizei und Presse ließ sich am ehesten mit einer Hassliebe vergleichen – sie konnten nicht ohne einander, aber auch nicht miteinander.
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»Michael. Ich bin da.«
Rebekka warf ihre Tasche und ihren Trenchcoat
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