Blut im Schnee
Gewissen ein – wenn dein Ermittler dir gefällt und sich was entwickelt, dann nimm die Veränderung an. Ich will mir jedenfalls nicht hinterher dein Gejammer anhören, weil du zu feige warst!“
Kim entlockte ihm damit ein leichtes Lachen. „Tja, nur schade, dass er für dich nicht infrage kommt, was?“
„Ey, ich habe ihn doch noch nicht mal gesehen! Aber das wird sich ja ändern – vergiss nicht, mich anzurufen. Ich muss jetzt weiter machen – bye!“, erwiderte sie und legte einfach auf.
Schlauer war er nach dem Telefonat nicht. Widersprüchliche Gedanken kreisten in seinem Kopf. Einerseits stimmte er ihr zu, denn ihre Worte spiegelten sein Bauchgefühl wider. Auf der anderen Seite aber war da sein Verstand, der ihm sagte, dass es der falsche Weg wäre, sich auf eine Affäre einzulassen.
Für den Moment brachten ihn seine Grübeleien nicht weiter, er drehte sich nur auf der Stelle. Sollte er die Dinge einfach nehmen, wie sie kamen?
***
Joachim ließen die Angaben der Klinikärztin keine Ruhe. Es konnte Zufall sein, dass das Midazolam dort verschwunden war, musste es aber nicht. Die gesammelten Anzeigen des Verdächtigen Zimmermann gaben ihren Teil dazu. Er bat Birgit nachzuforschen, ob Zimmermann sich rund um Köln aufgehalten hatte, als das Medikament verschwunden war. Eine Anzeige lag aus der fraglichen Zeit nicht vor, das wäre auch zu einfach gewesen. So blieben nur Kreditkartenabrechnungen und die Daten der Telefongesellschaft, um dem auf die Spur zu kommen. Er sah Birgit über die Schulter, als sie endlich Zugriff auf die Verbindungsdaten des Handys und des Festanschlusses bekam. Während sie beide die Einwahlknoten des Mobilfunknetzes durchgingen, klingelte Joachims Telefon. Die Nummer erkannte er gleich wieder – der Kollege Schardt meldete sich vom Beobachtungsposten.
„Ja?“
„Ich bin’s. Wir sind Zimmermann gefolgt. Er ist zum Bahnhof gelaufen und mit dem Zug nach Trier gefahren. Wir laufen ihm jetzt wieder hinterher. Er hat den Weg vom Hauptbahnhof in die Innenstadt eingeschlagen. Gleich sind wir an der Porta Nigra.“
„Hm. Wenn er angekommen ist – wo immer er hin will – ruf noch mal durch.“
„Alles klar.“
Joachim beendete das knappe Gespräch und grübelte. Es war unnütz, Spekulationen anzustellen, solange er nicht ansatzweise wusste, was Zimmermann vorhatte. Eigenartig fand er das Verhalten schon, allerdings war der ganze Mann eigenartig. Joachim war während seiner Laufbahn bei der Polizei schon einiges begegnet, aber einen solchen Fanatiker hatte er noch nicht kennengelernt. Für alles gab es ein erstes Mal …
„Hier ist nichts“, unterbrach Birgit seinen Gedankengang.
„Kein Hinweis, dass er sich dort aufgehalten hat?“
„Nein. Keine Einwahl des Handys im Umfeld von Köln. Das Gerät scheint jedoch nicht ständig eingeschaltet zu sein, es gibt Lücken von zum Teil mehreren Tagen. Bleiben noch die Verbindungsnachweise, die zu durchkämmen kann aber dauern.“
„Ich weiß. Gib Bescheid, wenn du etwas hast. Ich sehe mal, ob Henrik mit der Website weitergekommen ist.“
Birgit nickte zustimmend.
***
Während die kommenden beiden Stunden für Joachim etwas hektisch wurden, tat Thorsten nichts, außer sich den Kopf zu zerbrechen – obwohl er versucht hatte, dies nicht zu tun. Er fragte sich, wann er seine Arbeit wieder aufnehmen sollte. Könnte etwas Beschäftigung nicht hilfreich sein? In einem Büro zu sitzen und sich der Probleme eines Unternehmens anzunehmen, könnte ihn auf andere Gedanken bringen. Doch er konnte sich nicht aufraffen, in sein Postfach zu sehen, das durch das automatische Antwortsystem seine Abwesenheit entschuldigte. Stattdessen erschien ihm immer wieder Enrique vor Augen. Die Blicke und die Berührungen des Mannes, die zufällig erscheinen sollten und es doch nicht waren. Die Umarmung, die ihm einen Schauer über den Rücken hatte laufen lassen … Enrique brachte ihn vollkommen durcheinander. Er hatte sogar vergessen, Kim bezüglich der Beerdigung zu fragen! Eine Messe fiel schon allein dadurch weg, weil Martin bereits vor Jahren aus der Kirche ausgetreten war. Sarg oder Urne – was hätte Martin gewählt? Eine Feuerbestattung oder eine klassische Beerdigung? Ein schmuckes Grab mit marmornem Grabstein oder lieber eine anonyme Wiese? Vielleicht wäre es ihm auch lieber gewesen, sich verstreuen zu lassen oder gar eine Bestattung auf See? Es gab so viele Möglichkeiten und Thorsten wusste nicht, was er machen
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