Blut im Schnee
Es war kalt, die Temperaturen lagen unter null, wie in den beiden vergangenen Wochen auch. In der Innenstadt war dennoch viel los. Der Winterschlussverkauf neigte sich dem Ende zu und jeder versuchte, ein Schnäppchen zu ergattern. Thorsten folgte einer spontanen Idee und suchte nach Partyklamotten. Normalerweise trug er nie auffällige Kleidung – vor allem nicht solche, die ihn sofort als schwulen Mann outen würden. Auch wenn er seine Homosexualität nicht mehr verheimlichte, wollte er nicht von der Allgemeinheit als ‚Tunte‘ gesehen werden. Es entsprach auch nicht seinem Wesen. Für die Benefizveranstaltung wäre ein schräges Outfit aber genau das Richtige, entschied er.
Er lief durch einige Geschäfte – ohne etwas zu finden, das ihn ansprach – und wagte einen letzten Versuch bei ‚Olym&Hades‘. Thorsten war, zusammen mit Martin, ein Mal in dem Laden gewesen. Es dauerte nicht lange, ehe er eine Jeans entdeckte, die ziemlich genau dem entsprach, was er sich vorgestellt hatte. Im Destroyed-Look mit unzähligen, künstlich erzeugten Löchern. Thorsten griff sich eine in seiner Größe, probierte sie an und prüfte den Sitz. Sie war perfekt. An den Beinen weder zu locker noch zu eng, sein Hintern kam sehr gut zur Geltung und der Bund saß tief auf den Hüften. Nun fehlte ihm nur noch ein gewagtes Oberteil und sein Outfit wäre perfekt. Er zahlte die Jeans, ungeachtet des recht hohen Preises, und lief zurück zum Parkhaus. Thorsten hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wo er das Hemd finden könnte.
Sein Weg führte ihn die Moselstraße runter, wo er erneut abbog und das nächste Parkhaus ansteuerte. Im Grunde hätte er das Stück auch zu Fuß durch die Stadt gehen können, doch dafür war es ihm zu kalt. Ursprünglich hatte Thorsten nur zum Bestatter gewollt und war daher ohne Schal und Mütze aufgebrochen. Er war kein Weichei, aber gefroren hatte er schon immer schnell. Bereits in der Schule hatten ihn die Jungs damit aufgezogen und ihn „Frostbeule“ genannt.
Er ergatterte einen Stellplatz auf dem ersten Parkdeck, der gerade frei geworden war. Anschließend verließ er das Gebäude. Der Erotik Shop lag genau gegenüber dem Hauptmarkt Parkhaus und binnen einer Minute überquerte er die Straße und trat durch die Tür. Nach einem kurzen Rundblick steuerte er auf die Bekleidung zu, die in dem Laden angeboten wurde. An der Kasse stand ein junges Mädel, das seine Schritte mit wenig Interesse verfolgte, ehe es sich wieder seinen Papieren widmete.
Das Regal mit der Unterwäsche in allen erdenklichen Variationen ließ Thorsten links liegen. Von einem Kleiderständer nahm er verschiedene Shirts – alle aus durchsichtigem Stoff – und schließlich noch ein Netzhemd, welches ihm ins Auge gefallen war. In der Ecke hing ein Spiegel, vor dem er sich die Stücke an den Oberkörper hielt. Es war schwierig abzuschätzen, welches davon wirklich passen würde. Er blickte zu der jungen Frau, die weiterhin mit den Unterlagen beschäftigt war.
„Entschuldigung, kann ich die anprobieren?“, fragte er laut.
„Klar“, gab sie zurück, „aber bitte die Schildchen dranlassen.“
Thorsten nickte ihr zu und streifte die Jacke ab. Mit einem leichten Lächeln quittierte er, dass sie ihn beobachtete. Vermutlich war sie sich nicht bewusst, dass er sie sehen konnte, obwohl er ihr den Rücken zugedreht hatte. In der Ecke des Spiegels war sie gut zu erkennen und er sah, wie sie ihn anstarrte, als er auch Pullover und T-Shirt auszog. Seine Rückansicht schien sie zu beeindrucken. Thorsten probierte nacheinander alle Teile an, drehte sich jeweils zu ihr um und fragte sie anschließend, welches er nehmen sollte. Wenn sie sich ertappt fühlte, zeigte sie das nicht. Ihr Blick war offen anerkennend und ohne groß zu überlegen zeigte sie auf das schwarze Netzshirt.
„Das sah echt gut aus, besser als die anderen – die wirken immer, als hätte man einen Schlaufenschal umgenäht“, erklärte sie zwinkernd.
„Okay, dann nehme ich das.“
Thorsten brachte die anderen Sachen zurück und schritt auf die Kasse zu.
„Da wird die Freundin aber Augen machen“, meinte die junge Frau und zwinkerte.
„Falsch, wenn dann wäre es ein Freund“, erwiderte Thorsten und fand ihren Gesichtsausdruck herrlich. Gespieltes Entsetzen und Enttäuschung waren deutlich zu lesen.
„Warum sind die besten Kerle immer vergeben oder schwul?“, grübelte sie leise und mehr zu sich selbst, als an Thorsten gewandt.
„Ich weiß nicht,
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