Blut klebt am Karlspreis
„Das ist die richtige Gute-Nacht-Lektüre“, schmunzelte Dieter, „ein typischer Grundler.“ Ich nahm ihm die Bemerkung nicht übel. Nicht zuletzt er hatte doch dafür gesorgt, dass vor Jahren einmal eine Geschichtensammlung von mir mit beachtlichem Erfolg veröffentlicht worden war.
Böhnke warf nur einen kurzen Blick auf das Geschriebene, ehe er es zusammenfaltete. Er bot Schulz an, uns zu begleiten, aber mein Freund lehnte bedauernd ab. „Ich habe meinem Sohnemann versprochen, mit ihm ins Labyrinth am Dreiländereck zu fahren.“
Böhnke hatte in seinem Büro die Filmvorführung schon vorbereitet. Auch standen in der Besucherecke auf dem kleinen Tisch Kaffee und Kuchen bereit und prompt begann mein Magen, laut zu knurren.
Bevor ich allerdings zu meinem Ersatzmittagessen kam, rief der Kommissar einen Beamten zu sich und gab ihm mit meiner Zustimmung meine Zusammenfassung mit der Bitte, sie mehrfach zu kopieren und zur Kenntnisnahme an alle für die Karlspreisverleihung vorgesehenen Kollegen zu verteilen. „Die sollen ruhig wissen, was Nicht-Kriminalisten so denken“, erklärte er mir.
Ob ich etwas dagegen hätte, wenn seine beiden Assistenten bei unserem Gespräch dabei wären, fragte er mich noch höflich und wiederum in der Erwartung, dass ich nicht widersprechen würde. Der Kommissar hatte erneut zum Telefon gegriffen, bevor ich etwas erwidern konnte.
Nur Augenblicke später traten zwei junge Männer in meinem Alter ein. Sie begrüßten uns ausgesprochen freundlich. Sie hätten schon viel von mir gehört, bemerkte einer von ihnen viel sagend.
„Ich hoffe, nur Gutes“, entgegnete ich, während Böhnke die Kassette einlegte. „Und ich hoffe, dass nichts in der AZ darüber steht, dass ich heute mit der Kripo paktiert habe und mich auf Kosten des Steuerzahlers durchesse.“
Wie ich erwarten musste, gab es keine Reaktion auf meine Bemerkung. Nur Böhnke konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen.
Schweigend sahen wir uns den Film an. „Na, nichts gefunden?“, fragte ich anschließend lässig und biss kräftig in den herzhaften Kirschstreusel. Das allgemeine Kopfschütteln musste mir als Antwort genügen. „Dann bitte nochmals zurück ab der Szene, in der Loogen zu erkennen ist. Ein paar Bilder weiter erkennen Sie vielleicht den Mann, der mir aufgefallen ist.“
Langsam ließ Böhnke das Video bis zu der Stelle gleiten, an der Müller zu erkennen war. „Das ist der Mann, den ich meine“, erklärte ich. „Der passt doch gar nicht in die rechte Szene“, entfuhr es einem der Assistenten. „Der ist fehl am Platze.“
„Würden Sie denn glauben, dass dieser Mann Sprecher einer renitenten studentischen Wohngemeinschaft war?“, warf ich meine Trumpfkarte aus.
„So wirkt er auch nicht gerade“, bekannte der Kriminalbeamte. „So ist es aber. Müller heißt der Mann, Student im Examen mit Wohnsitz in Kornelimünster. Vielleicht ist es ratsam, ihn einmal zu befragen. Oder?“ Ich sah Böhnke an. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass er etwas mit den Rechten zu tun hat, aber wir müssen doch jedem noch so kleinen Hinweis nachgehen. Vielleicht hat er bei der Prügelei etwas entdeckt, das wir noch nicht wissen.“
Der Kommissar nickte. „Wir werden uns morgen früh um den Mann kümmern.“ Er erhob sich und ging zu seinem Schreibtisch, auf dem das Telefon klingelte.
Konzentriert hörte er zu, während er mich staunend betrachtete. Es schien mir, als wolle er das Gehörte nicht verstehen. „In Ordnung“, sagte er abschließend und kehrte in unseren Kreis zurück. Nachdenklich rieb er sich das Kinn. „Ich glaube, wir haben da ein weiteres Problem, Herr Grundler.“
„Welches? Auf eines mehr kommt es auch nicht mehr an.“ Böhnke machte mich unsicher. „Ist was passiert?“
„So kann man es wohl sagen“, antwortete er. „Ich glaube, Sie müssen Ihre Zusammenfassung gehörig verändern. Sie stimmt vorne und hinten nicht.“
„Wieso?“ Die Zweifel an meiner Kombinationsgabe störten mich. „Meine Kollegen haben mir gerade mitgeteilt, dass Ihr Ausdruck dieselben Merkmale aufweist wie die diversen Drohbriefe und Bekennerschreiben.“
Ich schüttelte mich.
„Mit anderen Worten: Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden die Pamphlete auf dem Drucker in Ihrer Kanzlei hergestellt“, fuhr Böhnke gelassen fort.
Der Rechtspfleger!, schoss es mir durch den Kopf. Das konnte nur Jerusalem gewesen sein. Wer sonst?
Wo Jerusalem wohnte, konnte ich Böhnke beim besten Willen
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