Blut Licht
meine Fantasie verrückt und gaukelte mir Bilder vor, die weit jenseits von normaler Vorstellungskraft lagen. Fast kam es mir vor, als würde Quentin Tarantino dabei Regie führen. Das Was-wäre-wenn-Denken nahm unkontrolliert überhand. Ein Faktor, der neben blühender Fantasie kaum dazu beitrug, meine durchdrehenden Gefühle wieder in ruhigere Bahnen zu lenken.
Tief in mir wusste ich, dass mir nach der tagelangen Anspannung und dem heutigen Geschehen als finaler Höhenpunkt einfach nur die Nerven durchgingen. Mir war das vollkommen klar - warum konnte ich dann aber nicht aufhören zu heulen und zu zittern?
Pscht, Kind. Alles wird wieder gut.
„Gar nichts wird wieder gut“, schniefte ich ins rauschende Wasser hinein. „Noch weniger, wenn du Selbstgespräche führst, Faye McNamara Knight, dann hält dich nämlich der Rest der Welt bald für komplett plemplem.“
Du führst keine Selbstgespräche, Faye.
„Schwachsinn.“
„Es hat durchaus einen Sinn, und der ist keineswegs schwach“, machte sich die Stimme nun akustisch bemerkbar, was ich gleich zum Anlass nahm, verschreckt aufzuspringen, auf der blöden Seife auszurutschen und schwungvoll gegen die Wand zu klatschen. Bevor ich mich jedoch vollständig zum Affen machen konnte, fingen mich zwei starke Arme auf.
Das darauf erwartungsgemäß folgende hysterisch schrille Kreischen konnte ich noch mühsam verhindern, das Bedecken meiner Brüste mit den Händen aber nicht. Ebenso wenig das entsetzte Aufkeuchen nebst der Bemerkung: „Schau weg, ich bin total verheult. Außerdem bin ich nackt.“
„Ich sehe nach innen, Faye. Meine Sichtweise ist eine andere als die eines Menschen“, erwiderte Michael ruhig, nahm jedoch seine Hände fort und besaß obendrein die Umsicht, sich umzudrehen. „Wenn du möchtest, dass ich gehe, lass es mich wissen.“
„Warum bist du überhaupt hier?“
„Weil du mich brauchst.“
Ach, tat ich das tatsächlich? Jetzt, wo alles vorbei war? Er war ein wenig spät dran, der Gute.
Ich schwieg und angelte nach einem sauberen Bademantel. Dazu musste ich halb aus der Dusche treten und huschte zurück, als das ersehnte Kleidungsstück an einer lichten Tentakel auf mich zugeschwebt kam.
„Du guckst trotzdem“, murrte ich, warf den Mantel über und drehte sinnigerweise erst danach den Wasserhahn zu. Der Schock, der Heul-anfall und zudem Michaels Anwesenheit brachten mich durcheinander.
„Ich habe nicht geschaut, ich habe gewusst“, entgegnete er gelassen. Dabei drehte er sich mir wieder zu und ergänzte: „So wie ich weiß, dass du dich nun bedeckt hast.“
Ich überging seine Freundlichkeit. „Wie kommst du bloß auf die Idee, ich könnte dich ausgerechnet jetzt brauchen? Warum bist du nicht erschienen, als ich an dem bescheuerten Stuhl festklebte und wirklich Hilfe brauchte?“, fragte ich auf Krawall gebürstet und ließ mir dennoch durch einen seiner Tentakeln aus der Dusche helfen. „Du wähltest einen anderen Adressaten, der dir in der Not beistand“, antwortete er. „Doch es ist offensichtlich, dass du weiterhin Angst hast, Faye, auch wenn du es derzeit hinter deinem Ärger verstecken möchtest. Deswegen bin ich hier.“
„Weil du Ärger suchst?“
„Nein, weil ich dir deine Angst nehmen möchte.“ Michael stand so dicht vor mir, dass er mich zur Toilette zurückdrängte.
Seine Aura schien mit einem Mal heller zu strahlen, dann verlosch sie abrupt und seine Durchsichtigkeit war verschwunden. Vor mir stand plötzlich ein Mann, der männlicher kaum hätte sein können. Ich schluckte trocken, als ich seinen nackten, muskelbepackten Oberkörper betrachtete. Ein breiter Gurt verlief von seiner linken Hüfte quer über seine Brust hinauf zu seiner rechten Schulter. Ich seufzte erleichtert, als ich sah, dass er unten herum wenigstens bekleidet war, denn ein zweiter Gürtel hielt eine Art zweiteiligen, knielangen Rock. Geschnürte, wadenhohe Stiefel aus hellem Leder rundeten das Bild ab. Ich sah wieder hinauf und machte hinter seinem Rücken den Griff eines langen Schwertes aus. Dann nahm ich sein Gesicht in Augenschein. Es war malerisch schön, maskulin kantig und gleichzeitig sanft. Sein Haar war mittelbraun und modisch kurz geschnitten. Meine Brauen ruckten irritiert in die Höhe. War er in sämtlichen Skulpturen und Bildern nicht stets als ein blondgelockter Engel abgebildet? Offenbar kannte er seine eigenen christlich geprägten Abbildungen nicht. Ich hüstelte ertappt, weil seine strahlend blauen Augen mich
Weitere Kostenlose Bücher