Blut muss fließen
offenbar locker genommen. »Das ist eben ›Absurd‹«, sollen sie gesagt haben. | 288 |
Neonazis, denen das zu derb ist, finden in der Neofolk- oder Gothic-Szene eine Heimat. Denn deutschnationale Ideologen haben es nicht nur auf die Black-Metal-Horden abgesehen. Scheitelträger und Zopfmaiden, allesamt adrett reichsdeutsch gekleidet, dominierten beispielsweise am 13. April 2006 das Publikum beim Auftritt von »Der Blutharsch« in Karlsruhe. Der Headliner aus Österreich fabrizierte mit teilweise phantasievoll gestalteten Instrumenten – darunter eine Art Blasebalg – eine Form von Neuer Deutscher Härte, wie ein Musikstil genannt wird, für den eine tiefe Stimme und maschinell klingender Rock charakteristisch sind. Als Vorband trat ein Künstler solo auf, der betrunken zum Sprechgesang anhob, seinen Soundcomputer nicht mehr richtig bedienen konnte und seine Zuhörer mit Federboas aus Kunststoff schmückte. Das Publikum feierte ihn begeistert – oder war das nur höflich?
Mal abgesehen von den optischen Eindrücken wäre das »Blut-harsch«-Konzert politisch unverdächtig geblieben, hätte nicht am Eingang Hartwin Kalmus, der ehemalige Vize der badischen Sektion von Blood & Honour, gestanden, um den Eintritt zu kassieren. Er schien gelangweilt zu sein. Auch Black-Metal-CDs verkaufte er, obwohl er mit dem Musikstil nichts anfangen konnte, wie er mir verraten hat.
Für Teile der Neonazi-Szene werden die heidnischen Black-Metaller mit ihrer kreideweißen bis blutigroten Bemalung, ihren hoch gestimmten Gitarren und dem heißeren Gekrächze wohl »too eväääl« bleiben, obwohl sie ein Gefühl verbindet: Hass – zum Beispiel gegen Juden. Der Schulterschluss, den Freie Nationalisten mit ihnen vollzogen haben, rief aber sogar die NPD auf den Plan, die mit Skinhead-Musik gute Erfahrungen in der Nachwuchswerbung gemacht hatte. Im April 2005 war in der Discothek Wodan im ostsächsischen Mücka, wo die Partei beziehungsweise ihre Jugendorganisation JN regelmäßig als Veranstalter fungierte, ein Gig mit »Absurd« angekündigt. Gescheitert ist das Vorhaben, nachdem antifaschistische Computerhacker die Gästeliste im Internet veröffentlicht haben.
Am Tag vor der Landtagswahl 2006 in Sachsen-Anhalt haben Black-Metaller im südlichsten Zipfel des Bundeslandes, in Zeitz, gerockt, ohne dass NPD-Politiker mit Reden gestört hätten. Als | 289 | »Nachtfalke« Hail Teutonia anstimmte, war der Wahltag schon angebrochen. In die Parteiarbeit werden sich die langhaarigen Neonazis wohl nur vereinzelt einbinden lassen, wohingegen Kameradschaften frisurenübergreifend gepflegt werden.
Manche haben gar den Marsch in die Öffentlichkeit angetreten. Bands wie »Krater« und »Eternity«, die ich bei konspirativ organisierten Nazi-Konzerten gefilmt habe, spielten am 8. April 2012, ganz offiziell, in der Ingolstädter Musikhalle Ohrakel. Sie sind in der politisch-kulturellen Grauzone angekommen, die sich zunehmend bräunlich verfärbt, aber zivilgesellschaftlich kaum wahrgenommen oder gar bekämpft wird. | 290 |
Kapitel 14
WIE BRAUN IST DIE GRAUZONE?
»All die Leute, die nicht arisch sind und nichts als Unruhe stiften, gebt mir ein MG, und ich werde sie vernichten.«
Die norditalienische Deutschrockband»Frei.Wild« in einem ihrer Songs | 291 | | 292 |
»Süüüd-tiii-roool!« Gebrüllt aus 12 000 Kehlen, zwei Tage nach Weihnachten anno 2011, in der Stuttgarter Schleyerhalle. Das Konzert gehörte zur X-Mas-Tour »Die Welt brennt«, bei der die vier Südtiroler Onkels von »Frei.Wild« in vier Großstädten auftraten, in Frankfurt, Stuttgart, Dresden und Hamburg. Und Südtirol ist einer ihrer Songs: »Südtirol, du bist noch nicht verloren. In der Hölle sollen deine Feinde schmoren.«
Die Botschaft der norditalienischen Deutschrocker ist völkisch und nationalistisch geprägt. Das »Heimatland« besingen seine »stolzen Söhne« als »Herzstück dieser Welt«, auf das »schon unsere Ahnen mächtig stolz« gewesen seien: »Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsere Heimat ist.« Die Band gibt sich in diesem Lied kampfbereit: »Heimatland, wir geben dich niemals auf.« Und zum Schluss heißt es: »Südtirol, du bist mein Leben.« Die Fans in Stuttgart jubelten. »Und eure Heimat ist euer Leben«, rief ihnen Frontmann Philipp Burger zu.
»Frei.Wild« ist es gelungen, sich bei Rock-Festivals wie in Wacken zu etablieren – mit Identitätsrock, einer Domäne, die aus der Neonazi-Szene bekannt
Weitere Kostenlose Bücher