Blut muss fließen
B&H-Kader kam er als Informant aber nicht heran. Kalmus hat mir mehr als 100 konspirative Konzerte in Deutschland und im europäischen Ausland verraten – per Mail-Verteiler und auf persönlicher Basis. Und als er auf eine Anfrage hin mal nicht Bescheid wusste, hat er in hilfsbereiter Weise »grad mal Nogge angerufen«. Norbert »Nogge« Lecheler ist Sänger von »Faustrecht« und hat mich später auch auf direktem Wege über geheime Veranstaltungen informiert – allerdings nicht in so großem Stile wie sein Karlsruher Kamerad. Das war jedoch nicht seiner größeren Vorsicht geschuldet, sondern meiner weniger intensiven Kontaktpflege. In Kalmus habe ich viel mehr Zeit investiert.
Kalmus’ Vertrauen erarbeitete ich mir mit Detailkenntnissen aus der Szene und teilweise mit demonstrativer Bewunderung für sein Engagement. Anfangs war er noch vorsichtig. So kündigte er einem meiner Pseudonyme das Elsasskonzert, bei dem ich erstmals mit versteckter Kamera gedreht habe, wie folgt an: »Laut diverser Quellen werden in Deutschland beziehungsweise im Elsass unter anderem ›Legion of St. George‹, ›Warlord‹, ›Mistreat‹, ›Noie Werte‹ und ›Razors Edge‹ auftreten.« Hinterher gestand er gegenüber einem anderen meiner Pseudonyme: »Hatte das Teil organisiert. Und da | 90 | hätte ich eh kaum Zeit gefunden, mich mit dir in Ruhe zu unterhalten. Ist leider an so nem Abend ziemlich stressig. An der Theke die Leute auswechseln, dann die Bands suchen beziehungsweise die auf die Bühne schicken, dann die Verhandlungen mit nem geschockten Vermieter, Polizei, et cetera. Nun ja, dafür freut man sich, wenn sich im Endeffekt die Mühe gelohnt hat.« Und gegenüber einem dritten Pseudonym äußerte er sich zu meiner Videorecherche: »Die Sache mit dem Arschloch, das gefilmt hat, hat zwar etwas aufgestoßen, aber denke mal, wenn jemand mit der richtigen Ausrüstung ausgestattet ist, ist so etwas kaum zu verhindern.«
Nachdem es mit dem persönlichen Kennenlernen im Elsass nicht geklappt hatte, wollte Kalmus mich – oder genauer: »uns« – bei anderen Konzerten treffen. Das scheiterte jedoch ein ums andere Mal, zum Teil auch an ihm, wie bei einem Konzert im Juli 2004 im fränkischen Kürnach. Ich war dort und wusste, dass ihn die Polizei geschnappt hatte. Also meldete ich mich gleich unter mehreren Pseudonymen bei ihm, um zu fragen, warum er nicht gekommen sei, obwohl er das vorher angekündigt hatte. Er nahm mir die Enttäuschung und teilweise auch die leichte Verärgerung ab und entschuldigte sich: »Gab leider ein paar Probleme mit dem Gig bei Würzburg. Die Bullen haben mich wegen den CDs mitgenommen und mich erst morgens um halb 3 wieder laufen lassen.«
Kalmus vertraute mir irgendwann so sehr, dass er mir sogar das Einmaleins der konspirativen Konzertorganisation vermittelte:
»Bei Open-Air-Veranstaltungen können auf einen leicht ein paar Ordnungswidrigkeiten zukommen. Auch auf Privatgrundstücken müsste ein Konzert beispielsweise angemeldet werden, dazu die meist fehlende gaststättenrechtliche Erlaubnis, et cetera. In Hallen gibt es diese Probleme im Prinzip nicht. Probleme macht eher die Suche, eine passende Örtlichkeit zu finden. Die meisten Hallen sind nun mal Gemeindehallen, und hier hat der Bürgermeister Hausrecht. Wenn der abends um 8 Uhr mitbekommt, was eigentlich abläuft, und darauf besteht, dass der Vertrag aufgrund Vortäuschung falscher Tatsachen gekündigt wird, muss die Polizei seinen Willen auch durchsetzen, wenn sie nicht eh versucht, den Vermieter einzuschüchtern und zur Kündigung zu drängen. Und dann bleibt halt einiges an Kosten an dir selbst hängen.« | 91 |
Was ein Konzertorganisator sonst noch zu befürchten hat? »Dass es Strafen gibt, habe ich noch nicht gehört, und es ist natürlich auch nicht so, dass du einen eventuellen Polizeieinsatz zahlen musst. Dein Name bleibt aber natürlich notiert.« Auch szeneintern gebe es einiges zur berücksichtigen: »Der Termin ist nicht unwesentlich für den Erfolg des Konzertes entscheidend. Wenn zwei bis drei Konzerte im Umkreis stattfinden, kommen natürlich auch dementsprechend wenige Leute. Also sollte man alles frühzeitig absprechen. Und natürlich möglichst auf eine Art und Weise, dass die Bullen nicht gleich mitbekommen, wer für das Konzert verantwortlich ist.«
Das wollte ich genauer wissen. Kalmus antwortete:
»Zu viele Köche verderben den Brei. Und dies gilt zumindest nach meiner Erfahrung beim Konzertorganisieren
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