Blut muss fließen
trauriger Erinnerung bleiben werden: Erstmals ist in Deutschland ein islamistisch motivierter Terroranschlag vollendet worden. Zudem wurde die rechtsterroristische Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)‹ aufgedeckt, die über 13 Jahre im Untergrund gelebt und in dieser Zeit mindestens zehn Menschen getötet hat.«
Das mutmaßlich zehnte Opfer des NSU, eine Polizistin, war bereits tot, als das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen jährlich verwendeten Standardsatz mit neuer Jahreszahl veröffentlichte: »Rechtsterroristische Strukturen waren auch 2007 in Deutschland nicht feststellbar, ebenso wenig wie eine Theoriediskussion, die zu einer systematischen Gewaltanwendung aufgefordert hätte. Gleichwohl birgt die Affinität der Szene zu Waffen und Sprengstoff ein latentes Gefährdungspotenzial.« Demnach muss es eine unsystematische Gewaltanwendung von Rechtsextremisten gewesen sein, die bis dato bekanntermaßen Dutzende Todesopfer gefordert hatte. Nur ein latentes Gefährdungspotenzial?
Statistisch betrachtet wird meist der Zeitraum seit der deutschen Wiedervereinigung. »Unter Berücksichtigung der Morde des NSU | 151 | und des bisherigen Ergebnisses der noch andauernden Überprüfung von Altfällen auf etwaige rechtsextreme Hintergründe sind bislang 60 Todesopfer rechter Gewalt seit dem Jahr 1990 zu verzeichnen«, sagte Hans-Peter Friedrich am 11. Mai 2012. Der Tagesspiegel berichtete am 31. Mai 2012 (nach gemeinsamen Recherchen mit der Zeit ) hingegen über »mindestens 149 Menschen«, die »ihr Leben durch Angriffe rechtsextremer Täter verloren« hätten. Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die nach einem der Nazi-Opfer benannt ist, kommt sogar auf »182 Todesopfer rechter Gewalt« seit 1990.
Eine mögliche Erklärung für diese Unterschiede findet sich in den Aussagen des Bundesinnenministers zur staatlichen Zählung: »Die Erfahrungen mit der rechtsterroristischen Gruppierung ›NSU‹ haben auch noch einmal deutlich die Grenzen der Statistik vor Augen geführt und uns bewusst gemacht: Eine zutreffende Zuordnung von Straftaten zur politisch motivierten Kriminalität gelingt nicht immer zeitnah.« Und dann kam wieder der Islamismus: »Auch zeigt gerade der die wenigsten Straftaten aufweisende Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität, zu dem auch der islamistische Terrorismus gezählt wird, von dem nach wie vor die größte Gefährdung ausgeht, wie wenig gerade bezogen auf kleine Phänomenbereiche die Statistik zur Einschätzung der Bedrohungslage taugen kann.« Es bleibt für den CSU-Minister also dabei: Die größte Gefährdung geht vom islamistischen Terrorismus aus, nicht von der mordsmäßig wachsenden Neonazi-Bewegung, welche die Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund hervorgebracht hat.
Staatliche Akteure haben im Umgang mit Neonazis immer wieder weggeschaut, verharmlost und geschlampt, wie nicht nur ich bei meinen Recherchen feststellen musste. Bundesweit thematisiert und diskutiert worden ist allerdings erst das behördliche Totalversagen im Fall des NSU, dem extremsten Beispiel, das bisher bekannt ist. Gerhard Schäfer (Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D.), Volkhard Wache (Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof a. D.) und Gerhard Meiborg (Leiter der Abteilung Strafvollzug im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz) haben im Auftrag der thüringischen Landesregierung das »Verhalten der | 152 | Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung des ›Zwickauer Trios‹« untersucht. Ihr Urteil fällt vernichtend aus.
Erstes Beispiel: »Die vom Thüringischen Landeskriminalamt der Kommission übergebenen 24 Aktenordner zum Ermittlungsverfahren lassen keinerlei Ordnung erkennen. Die Akten sind weder chronologisch noch systematisch oder nach Zusammenhängen geführt. Ein System ist in keiner Weise zu erkennen.«
Zweites Beispiel: »Soweit das Thüringische Landesamt für Verfassungsschutz bei der Suche nach dem TRIO eingeschaltet war, war die Kommunikation innerhalb der Behörde mangelhaft. So wurde die Auswertung allenfalls gelegentlich mit den Informationen der Beschaffung befasst.«
Drittes Beispiel: »Eine effektive Zusammenarbeit vom Thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz und dem Thüringischen Landeskriminalamt hat nicht stattgefunden. Das Verhältnis war von Konkurrenzdenken geprägt. Das zeigt sich insbesondere beim Thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz, das wichtige Quellenmeldungen, die
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