Blut muss fließen
Nation, und eines Tages stürzen wir Zions Thron.« Und dann noch ein Appell zum bewaffneten Kampf: »Für die Reinheit unserer Rasse sind wir bereit, zu den Waffen zu greifen.« Hinzu kam auch hier der Publikumschor: »Blut muss fließen knüppelhageldick, und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik.«
Polizeibeamte in Zivil verfolgten diesen Auftritt im Konzertzelt, wie NPD-Funktionär Norman Bordin sogar von der Bühne herunter verkündete. Das bayerische Innenministerium bestätigte Jahre später, am 3. März 2012, auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Sepp Dürr (Bündnis 90/Die Grünen): »Während des Konzertes waren ständig Polizeikräfte, insbesondere zwei Beamte des Staatsschutzkommissariats, im Festzelt.« Sie hörten auch weg, als das verbotene Netzwerk B&H in dem Lied For the Blood & Honour besungen wurde. Nicht einmal, als das Licht ausgemacht wurde, um zu verbergen, wer auf der Bühne den Polackentango anstimmte, wurden die Staatsschützer hellhörig. Sie griffen nicht ein, obwohl um das Anwesen herum ihre Kollegen aus Unterstützungskommandos bereitstanden. Das Innenministerium äußerte in seiner Antwort auf die Landtagsanfrage hin Verständnis: »Im Zelt herrschte ein derart hoher Lärmpegel, dass für die eingesetzten Beamten ein Großteil der gesungenen und gesprochenen Textpassagen nicht verständlich war. […] Weiter haben die polizeilichen Erfahrungen gezeigt, dass eine Bewertung vor Ort während der Veranstaltung ohne Kenntnis | 157 | des Textes grundsätzlich kaum möglich ist (Lautstärke, Verständlichkeit, verschiedene Versionen).«
Das ist richtig, aber nicht wirklich überraschend: Wer die Lieder an solch einem Abend zum ersten Mal hört, der wird sie kaum verstehen können. Deshalb habe ich unzählige Texte, vor allem Songs von populären Bands wie »Landser«, auswendig gelernt. Diese Notwendigkeit hat auch die Berliner Polizei erkannt und deshalb Beamte geschult, damit sie mit dem Liedgut vertraut sind, wie der dortige Justiziar Oliver Tölle erklärte, als ich ihn für den Dokumentarfilm »Blut muss fließen« – Undercover unter Nazis interviewte. In Bayern werden hingegen Beamte ohne Textkenntnis eingesetzt. Polizeilich organisierter Dilettantismus. Ich verstand bereits während des Konzertes in Mitterschweib, was ich gerade in Bild und Ton aufnahm. Deshalb staunte ich immer mehr, warum die Polizei nicht eingriff. Abgesehen davon werden wohl selbst die schlecht ausgebildeten bayerischen Staatsschützer beigebracht bekommen haben, wie ein Hitlergruß aussieht und dass er strafbar ist.
Das NPD-Konzert bei Mitterskirchen offenbarte, warum Bayern ein Konzertparadies für Neonazis war (ob es immer noch eines ist, kann ich nicht mit hinreichender Sicherheit einschätzen, da ich seit 2007 nicht mehr dort gedreht habe). Sobald eine solche Veranstaltung begonnen hatte, konnten die nationalistischen Rassisten im Freistaat praktisch machen, was sie wollten – die Polizei stürmte fast nie. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums ist von 2003 bis 2005 kein einziges von insgesamt 49 Skinhead-Konzerten aufgelöst worden, 2006 nur – oder immerhin – eines.
Im Nachbarland Thüringen haben die Ordnungshüter anders durchgegriffen, gemäß einem Erlass des Innenministeriums zur »Polizeilichen Behandlung von Skinheadkonzerten«. Dieser sah vor, dass »alle rechtlichen Möglichkeiten, insbesondere hinsichtlich der Verhinderung oder Auflösung von Skinheadkonzerten, geprüft und ausgeschöpft werden« – so die Zusammenfassung, der genaue Wortlaut wird unter Verschluss gehalten. 2006 wurden sechs von zwölf Konzerten aufgelöst und weitere sechs im Vorfeld verhindert. Diese Leistung war noch besser als jene des Jahres 2005 (neun von 22 Konzerten aufgelöst, sechs im Vorfeld verhindert), aber immer | 158 | noch steigerungsfähig. Denn im August 2006 hatte ich zwei Gigs im Skinhouse Menfis in Neustadt an der Orla besucht, die ebenfalls beendet gehört hätten. Es wurden unter anderem rassistische Lieder wie When The Boat Comes In mit der wiederkehrenden Textzeile »Nigger, nigger, get out of here« gesungen, in manchen wurde zu Gewalt und Mord aufgerufen. Hitlergrüße gab es ebenfalls, und bei einem der Konzerte stellte ein Neonazi sein Hakenkreuz-Tattoo zur Schau. Aber die Polizei war nicht einmal anwesend, zumindest nicht in Uniform.
Auch die Baden-Württemberger Sicherheitskräfte zeigten im Jahr 2006 (nach einem Rechtsrockrekordjahr 2005) mehr Einsatz
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