Blut muss fließen
»Aufstand der Anständigen« hatte im Jahr 2000 der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder aufgerufen, nachdem ein Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge verübt worden war. Paul Spiegel, zu jener Zeit Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, würdigte diese Initiative: Gefordert seien »Bürgerinnen und Bürger, die nicht wegschauen, wenn Unrecht geschieht, die Zivilcourage im Alltag beweisen und ihre Stimme erheben«. Das verstehe Schröder unter dem von ihm proklamierten »Aufstand der | 142 | Anständigen«. Zu dessen »positiven Wirkungen« zählte Spiegel »die seitens des Bundes aufgelegten Programme gegen Rechtsextremismus oder die Einrichtung von Opferberatungsstellen und mobilen Beratungsteams«. Er bescheinigte dem Kanzler: »Wichtig und überfällig war zudem die durch Ihren Appell erfolgte eindeutige Positionierung, die darin zum Ausdruck kommende Ächtung jeder Form von Rassismus, Intoleranz und Gewalt. Für diese Eindeutigkeit, die auch andere Vertreter Ihres Kabinetts immer wieder an den Tag legen, danke ich Ihnen ausdrücklich.«
Auch der brandenburgische CDU-Innenminister Schönbohm nahm eine eindeutige Position ein: »Nach langen Diskussionen über diesen Aufstand der Anständigen haben sich viele angeschlossen, auch die CDU. Und die machten dann einen Marsch gegen Rechtsextremismus. Und ich hab gesagt: ›Ich geh’ da nicht mit.‹ Ich halt’ überhaupt nichts davon. Man muss praktisch was machen.« Aber er habe feststellen müssen: »Das Andere ist einfacher: Prosecco nehmen, Kerze 30 Minuten, Prosecco, nach Hause fahren.« Das amüsierte seine Weikersheimer Freunde – sie lachten und applaudierten. Schönbohm: »Ich hab’ dann gesagt: ›Ich nehme das Schwert des Rechtsstaates in die Hand und sorge für Ordnung und sorge dafür, dass Straftaten bestraft werden und dass jeder das Recht hat, sich frei zu bewegen.‹ Das ist meine Aufgabe als Innenminister – und nicht Kerzen hochzuhalten.«
Wenn der Generalleutnant außer Dienst zum »Schwert des Rechtsstaates« griff, wurden beispielsweise Ausländer abgeschoben – davon erzählte Schönbohm in Weikersheim ebenfalls: »Die Kirche hat mit mir schon viel Ärger gehabt – ich aber auch mit der Kirche. Man wollte mich schon mal vom Abendmahl ausschließen, nachdem ich in Berlin auf einen Schlag 74 Flüchtlinge abgeschoben hatte.« So sorgte ein Christ-Demokrat für Recht und Ordnung, der sich mehr oder weniger überzeugend islamfreundlich gab: »Ich hab’ nichts dagegen, dass die Moscheen bauen – aber ich hab’ was dagegen, dass wir nicht mehr sagen dürfen, was wir in unserem Land wollen.« Und das habe Folgen: »Dass unter diesen Bedingungen Rechtsextreme an Boden gewinnen, überrascht mich überhaupt nicht. Denn sie sprechen die Dinge an, vor denen wir Angst haben, | 143 | sie anzusprechen.« Das gab Beifall. Schönbohm beklagte: »Wer Patriotismus einfordert, wird zum chauvinistischen Nationalisten. Und wer an die Werte der Familie erinnert, wird gleich zum Macho oder ewiggestrigen Mutterkreuzler, der dafür sorgen möchte, dass die Frau an den Herd geht.« Der Innenminister sah seinen Auftrag als CDU-Mitglied darin, »etwas klarer mehr Klartext zu reden und ein paar Punkte deutlicher herauszuarbeiten«. Was ihm außerdem wichtig war: »Die nationalsozialistischen Katastrophen und Verbrechen dürfen nicht dazu führen, dass konservatives Denken auf Zeit, auf ewige Zeit kontaminiert ist – unabhängig davon, wer der geistige Vater oder Mutter dessen ist.«
Die bayerische Schwesterpartei der CDU fürchtete derweil eine andere Katastrophe: »Wir wollen nicht, dass am nächsten Sonntag Kommunisten in den bayerischen Landtag einziehen.« Das sagte der damalige CSU-Vorsitzende und Landesfinanzminister Erwin Huber am 21. September 2008. Einen Tag lang habe ich ihn im Wahlkampf begleitet. Bei einem Frühschoppen der CSU in Regensburg erklärte er: »Ich hab in den letzten Wochen eine Kampagne auch gegen links gemacht. Und zwar deshalb, weil ich der Überzeugung bin, dass Radikale und Extremisten keine Probleme lösen, sondern Probleme machen. Das gilt für die NPD und die DVU genauso wie für die kommunistische Linke.« Was bei diesem Vergleich, der von einigen Unionspolitikern gerne gezogen wird, einfach ausgeblendet wird: Die NPD gehört zu einer weltanschaulichen Bewegung, deren Anhänger in Deutschland regelmäßig Menschen umbringen – vor allem Ausländer und auch Obdachlose. Von »linken«
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