Blut muss fließen
Ermittlungsansätze boten, dem Thüringischen Landeskriminalamt nicht zur Verfügung stellte.«
In Thüringen haben die Rechtsterroristen gelebt. Aber fünf von zehn Morden, die ihnen zugeschrieben werden, sind in den Jahren 2000 bis 2005 in Nürnberg und München begangen worden – ohne dass ihnen die bayerischen Behörden auf die Schliche gekommen wären. Über deren Ermittlungsarbeit ist bisher kein unabhängiges Gutachten bekannt, dafür eine Bewertung von Günther Beckstein (CSU), der von 1993 bis 2007 bayerischer Innenminister war. Er hat am 24. Mai 2012 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags »in einer über einstündigen Rede die vielfach kritisierte Tätigkeit der Sicherheitsbehörden« verteidigt, wie auf der Internetseite des Parlaments zu lesen ist:
»Die mit den Ermittlungen beauftragte Sonderkommission (Soko) Bosporus der Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz hätten ›keine substanziellen Fehler‹ gemacht, sagte der CSU-Politiker vor den elf Abgeordneten, die Pannen und Fehlgriffe bei den Recherchen der Behörden zu den Tö | 153 | tungsdelikten durchleuchten sollen, zu denen 2007 noch die Erschießung einer Polizistin in Heilbronn kam. ›Es schmerzt mich‹, so der Zeuge, dass es trotz des unglaublichen Eifers‹ der Beamten nicht gelungen sei, ›die Mörderbande dingfest zu machen‹. Es sei die ›Tragik dieses Falles‹, dass trotz intensiver Arbeit kein Erfolg erzielt worden sei. […] Beckstein räumte ein, dass manches hätte ›besser laufen können‹, was etwa für die Kooperation zwischen der Soko und dem Verfassungsschutz gelte.«
Fünf Morde, deren Täter weder ermittelt noch gefasst werden konnten? Da hätte tatsächlich manches »besser laufen können« . Im Bericht auf der Bundestags-Homepage heißt es außerdem:
»Beckstein, der einen großen Teil seiner Rede mit der Aufzählung seiner Aktivitäten gegen den Rechtsextremismus bestritt, wehrte sich gegen den ›infamen‹ Vorwurf, in Bayern sei man ›auf dem rechten Auge blind‹. Er selbst habe mehrfach darauf gedrungen, neben der im Vordergrund stehenden Tätersuche im kriminellen Milieu auch einen rechtsextremen Hintergrund der Mordserie zu prüfen. Auf das NSU-Trio hätten in Bayern jedoch keine fundierten Hinweise existiert. Auch Bekennerschreiben hätten nicht vorgelegen. Generell hätten bei diesen Erschießungen außer den Opfern und Erkenntnissen über die Tatwaffe handfeste Spuren gefehlt. Die von einem Profiler entwickelte und ins rechtsextreme Spektrum weisende Einzeltätertheorie sei ebenfalls ›nicht mit Beweisen belegt‹ gewesen. Beckstein trat der im Ausschuss aufgrund bisheriger Zeugenvernehmungen und von Aktenzitaten mehrfach geäußerten Kritik entgegen, er habe verhindern wollen, dass die Sonderkommission ›Bosporus‹ in ihrer Öffentlichkeitsarbeit darauf hinwies, es werde neben Spuren im kriminellen Milieu auch die Hypothese der Einzeltätertheorie verfolgt. Er habe nicht gefordert, dies zu unterlassen, sondern nur gemahnt, angesichts der wegen der Mordserie tief verunsicherten türkischen Bevölkerung ›sensibel‹ vorzugehen, um Ängste nicht weiter zu schüren.«
Derart »sensibel« habe ich Innenminister Beckstein im Jahr 2007 selbst erlebt, als ich die Pressekonferenz besuchte, in der er den Landesverfassungsschutzbericht 2006 vorstellte. Der CSU-Politiker achtete auch damals darauf, bloß keine Ängste vor Rechtsextremisten zu schüren: »Der Linksextremismus wird in der Bedeutung in der | 154 | Öffentlichkeit unterschätzt. Wir haben ein größeres Gewaltpotenzial im Linksextremismus als im Rechtsextremismus.«
Beckstein fehlte der politische Wille, maximal wirkungsvoll gegen Neonazis vorzugehen. Strukturelle Defizite trugen dazu bei, dass seine Polizei schon an weniger schwierigen Aufgaben scheiterte als an der Aufklärung von fünf Terroristenmorden. So gab es in der Ära Beckstein auch keine landesweite Strategie zum Umgang mit Rechtsrockkonzerten. Zuständig dafür seien die Polizeidirektionen, teilte damals das Landeskriminalamt auf Anfrage mit. Dabei liegt nahe, dass polizeiliche Staatsschützer auf dieser Ebene, die sich neben dem Rechtsextremismus um den Islamismus und den Linksextremismus kümmern müssen, überfordert sind, wenn sie es mit überregional oder gar international vernetzten Neonazi-Organisatoren zu tun bekommen. Wie sollen die Beamten vor Ort deren konspirative Mobilisierungsstrukturen kennen? Wenn bei ihnen plötzlich einige hundert Nazis zu
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