Blut und Harz
Eschle. Ein warmes Gefühl wallte durch seinen Magen, als er an Frau Schwarz dachte. Sie war nicht nur eine fleißige und engagierte Sekretärin, sondern auch menschlich überaus angenehm. Wäre sie nicht seine Angestellte, würde er nur zu gerne mit ihr über private Probleme reden. So beruhte ihre Beziehung auf rein geschäftlicher Basis und auf Sex.
Erik riss den Blick von den aufgeräumten Stiften ab und marschierte los. Für Sentimentalitäten und Herzschmerz hatte er jetzt nicht auch noch Zeit.
Wenig später saß er am Steuer seines Wagens und bog vom Firmenparkplatz auf die Staatsstraße ein, die ihn um die Stadt herum zu Ruppert führen würde. Die Sonne war seit wenigen Minuten untergegangen. Der Himmel färbte sich bleiern und dunkle Wolken türmten sich am Horizont. Wahrscheinlich brachten sie Regen.
Erik schaltete die Xenonscheinwerfer ein. Der bläuliche Lichtkegel erhellte schlagartig die düstere Straße vor ihm. Obwohl die Straßenbeleuchtung zusätzlich brannte, wirkten die Farben trist, grau und trostlos. Irgendwie wurde Erik das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Er konnte nur nicht sagen, was es war. Wahrscheinlich das Wetter, dachte er grimmig. Der Wechsel im Herbst auf das kalte Wetter, wenn der Winter seine eisigen Klauen austreckte und die Natur zum Stillstand brachte, schlug ihm jedes Jahr aufs Gemüt. Mit Sicherheit lag es nur daran.
In Gedanken versunken bog er nach Norden ab und schlug den Weg zu Rupperts Praxis ein. Er passierte den Ortsrand. Vereinzelt kamen ihm Autos entgegen. Der Schein ihrer Scheinwerfer blendete ihn, wirkte zu grell, doch es lag nur an seiner Müdigkeit. Erik zwang sich, den Blick auf den rechten Randstreifen zu fokussieren, damit ihn die Lichter nicht zu sehr in den Augen stachen. Eine scharfe S-Kurve zwang ihn jedoch, sich wieder auf die Straße zu konzentrieren. Im selben Moment passierte ihn ein alter, dunkelgrüner Passat.
Eriks Herz setzte für einen Augenblick aus. Ungläubig starrte er auf den Fahrer des Kombis, dessen Gesicht im Schein seiner Scheinwerfer für den Bruchteil einer Sekunde deutlich zu sehen war. Reimund.
Dann war der Wagen aus seinem Lichtkegel heraus. Dunkelheit verschleierte wieder die Gesichtszüge des Fahrers.
Erik starrte mit offenem Mund dem Passat hinterher und verfolgte, wie das Auto um die Kurve bog und aus seinem Blickfeld verschwand.
Ein schrilles Hupen holte ihn unsanft aus seiner Schockstarre zurück. Er fuhr erschrocken herum und sah sich zwei grellen Lichtern gegenüber, die auf ihn zurasten. Er war auf die andere Fahrbahn abgekommen.
Reflexartig riss er hart am Lenkrad. Gleichzeitig drückte er das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der Wagen reagierte sofort. Wie eine Wildkatze machte er einen gewaltigen Satz zurück auf die rechte Fahrbahn. Erik wurde schmerzhaft gegen die Tür geschleudert. Das kühle Glas der Seitenscheibe krachte gegen seinen Kopf. Die Scheinwerfer zischten an seinem Fenster vorbei, begleitet von einem weiteren kreischenden Hupen, das mehr an das Brüllen eines geschlagenen Bären erinnerte.
Das Heck des Wagens schlingerte gefährlich. Erik versuchte, gegenzusteuern. Mit aller Kraft drehte er am Lenkrad, das trotz Servolenkung mit solcher Wucht dagegen presste, dass Erik vor Anstrengung keuchte. Gleichzeitig stieg er nun mit seinem vollen Gewicht in die Eisen.
Der Wagen schleuderte zurück, Erik wurde in den Gurt gepresst, die Bremsen quietschten protestierend, doch die Geschwindigkeit verringerte sich schlagartig. Wenige Meter später blieb der Wagen am Straßenrand stehen.
Erik stieß pfeifend die Luft aus. Seine Finger waren in das Lenkrad gekrallt, die Knöchel stachen weiß hervor. Seine linke Schulter schmerzte und sein Herz pochte so stark gegen die Rippen, dass er meinte, gleich einen Herzinfarkt zu erleiden. Erik schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. Die Luft roch stechend nach Bremsbelag.
Nach schier endlosen Minuten beruhigte sich sein Puls wieder, das innere Rütteln an seinen Rippen nahm langsam ab. Erik öffnete seine Augen und nahm die Hände vom Lenkrad. Sie zitterten wie nach einem übergroßen Humpen Espresso.
Ungläubig schüttelte er den Kopf. Reimund! War es wirklich Reimund gewesen? Erschöpft schloss er erneut die Augen und ließ sich gegen die Kopfstütze sinken. Das Leder fühlte sich kalt und rau an auf seiner verschwitzten Haut. Die Muskulatur in seinem Nacken brannte.
Es konnte nicht Reimund gewesen sein! Von Reimund fehlte seit jenem
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