Blut und Harz
schüttelte sich kurz. Ein Schokoriegel wanderte anschließend in ihre Hand, der Rest der Packung in die linke Jackentasche. Die Flasche in die rechte.
Mit den Zähnen riss sie die Verpackung auf und spuckte das bittere Plastik achtlos auf das feuchte Steinpflaster. Die erste Mahlzeit seit Stunden ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Hastig steckte sie sich den klebrigen Karamell-Kalorienschock in den Mund. Mit der süßen Masse zwischen den Zähnen - schwer kauend - schwang sich Natalja erneut auf ihren gestohlenen Drahtesel.
***
Das Garagentor schloss sich knarrend. Langsam zuckelte es in den Aluminiumführungen nach unten. Der Killer wartete, bis man von der dunstigen Straße nicht mehr herein blicken konnte, dann deutete er mit der Pistole auf die Wagentür.
»Aussteigen!«
Erik starrte entgeistert den geschwärzten Lauf der Waffe an, der vor seinem Gesicht auf und ab hüpfte. Der zarte Duft von verbranntem Metall und Rauch ging davon aus wie von einer einparfümierten alten Dame.
Erik fasste sich ein Herz und stieg aus dem Mercedes. Seine Beine fühlten sich immer noch wie Omas Pudding an. Das ausgestoßene Adrenalin pulsierte aufkratzend durch seine Adern, wie nach einem Humpen kräftigen Espressos. Auch die ereignislose Fahrt vom Krankenhaus bis hierher hatte keine Beruhigung gebracht. Er meinte, sein Kopf koche vor Anspannung und Hitze. Trotzdem stand ihm kalter Schweiß auf der Stirn, den nicht einmal der fauchende Fahrtwind des spaltbreit geöffneten Fensters getrocknet hatte. Der Killer tat es ihm gleich, stieg aus, hielt die Pistole jedoch ständig schussbereit auf ihn gerichtet.
»Was wollen wir hier bei mir?« fragte Erik bereits zum dritten Mal. Bisher hatte er keine Antwort auf seine Frage erhalten. »Wenn Sie mich erschießen wollen, hätten wir nicht zu mir nach Hause fahren müssen. Das Krankenhaus wäre gut genug gewesen.«
Der athletische Mann in den schwarzen Klamotten und den kurz geschorenen Haaren deutete auf eine weiß lackierte Metalltüre, die aus der düster beleuchteten Garage führte. Nur das schwache Licht des automatischen Garagentoröffners wies ihnen den weg. Die linke Wange des Mannes war von längst verheilten Brandwunden fleckig, leicht wulstig. Nicht, dass der Mann an sich hässlich gewesen wäre. Nur die Verbrennungen verliehen ihm einen furchteinflößenden Touch. Erik resignierte innerlich.
Der Mann wollte scheinbar nicht mit ihm reden.
»Sie haben noch ein Mobiltelefon von mir zur Kontaktaufnahme«, ertönte überraschend die raue, akzentuierte Stimme, während der Killer die Motorhaube umrundete. Die einfache Erläuterung des Mannes ließ Erik erstarren. Die weiteren Beweggründe offenbarten sich ihm wie ein aufgeschlagenes Buch.
»Sie … Sie wollen Beweise vernichten und … und wenn ich Ihnen das Handy gegeben habe, knallen Sie mich ab. So wird es ablaufen. Ich bin doch nicht verrückt! Von mir kriegen Sie das Telefon nicht!«
Der Schalldämpfer küsste ohne Vorwarnung seine Stirn. Er spürte das kühle Metall, den ringhaften Abdruck, den es auf seiner verschwitzten Haut hinterließ. Ihm brach noch mehr Schweiß aus.
»Halten Sie endlich die Fresse. Wir holen jetzt das Handy. Los jetzt!«
Erik schluckte seinen Kommentar hinunter, löste ehrfürchtig seinen Kopf vom Schalldämpfer und trat durch die Tür in einen schmalen Gang, der ins Haus führte. Der Rabe folgte ihm beinahe geräuschlos. Während Erik den Mann langsam durchs dunkle Haus führte, schossen ihm alle nur erdenklichen Gedanken durchs Gehirn.
Ein Fluchtversuch war naheliegend, aber aussichtslos. Der Mann war durchtrainiert und ein Profi. Erik würde nicht den Hauch einer Chance haben. Auch auf der Fahrt hierher hatte sich keine Gelegenheit ergeben. Erik hatte mit dem Gedanken gespielt, bei voller Fahrt aus dem Wagen zu springen, doch ihn sofort wieder verworfen. Wahrscheinlich hätte er sich den Hals gebrochen und wenn nicht - entkommen wäre er trotzdem niemals. Genauso galt es mit einem erzwungenen Unfall. Er hatte überlegt, in ein entgegenkommendes Auto zu rasen. Gezielt auf seine eigene Beifahrerseite. Doch getan hatte er nichts. Brav war er den knappen Anweisungen des Killers gefolgt, war durch neblige Straßen und Gässchen gefahren, bis er vor seinem Haus in die Einfahrt einbog. Sein Handy hatte ihm der Killer noch im Krankenhaus abgenommen. Ein Notruf war also auch außerhalb seines Machtbereichs. Wie konnte er sich aber sonst aus dieser Lage befreien? Er hatte nur eine
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