Blut und Harz
Architektenstil gehalten, im Nebel ab. Er wirkte auf den ersten, flüchtigen Blick wie ein Raumschiff aus Star Wars Episode I, vermittelte eine unwirkliche Stimmung. Und es war noch kälter geworden, viel zu kalt für den goldenen Oktober.
Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude stand ein dunkler Wagen. Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen! Erik und der Rabe waren hier. Gebannt fixierte sie den PKW, forschte vergeblich in ihrem Inneren nach einem Anzeichen von Furcht. Sie fand keine. Im Gegenteil; sie spürte eine Hoffnung aufkeimen, dass sie Erik retten konnte, und fühlte sich deshalb fast erleichtert. Was sie als nächstes tun würde, war ihr allerdings noch schleierhaft.
Der Parkplatz rückte unaufhaltsam näher. Die weißgrauen, treibenden Fetzen lichteten sich. Der Wagen war kein Mercedes. Auf dem Pflaster stand ein dunkelgrüner Passat.
Entsetzen machte sich in ihrer Magengegend breit. Sie war doch am falschen Ort! Das konnte nicht sein!
Entgeistert radelte sie die letzten Meter heran, warf das Fahrrad achtlos neben dem Parkplatz gegen einen der struppigen Büsche. Das rostige Gestell versank fast vollständig zwischen den Blättern und dünnen Zweigen.
Ungläubig blieb Natalja stehen, betrachtete den alten Passat, von dem sie gehofft hatte, es wäre Eriks Mercedes. Sie konnte ihr Pech kaum fassen. Erst der schwere Unfall von Elias, dann die Entführung seines Vaters und dazu noch ein Killer, der drei Mal auf sie geschossen hatte. Nicht einmal etwas Glück war ihr heute vergönnt.
Gedämpfte Schritte drangen aus dem Nebel neben ihr, aus Richtung der Eingangstüre. Irgendjemand war hier. Natalja reagierte instinktiv. Sie huschte zu den Büschen, zwängte sich zwischen zwei stacheligen Kugeln in die grüne Dunkelheit. Die Blätter stachen ihr schmerzhaft in den Nacken. Dann hielt sie den Atem an, blickte zum Eingang.
Sie erkannte eine verschwommene Gestalt, hager und schmal und ganz in Braun gekleidet. Es war ein Mönch. Mit zügigen, aber nicht hastigen Schritten kam er aus dem Gebäude, hielt direkt auf sie zu. Hatte er sie gesehen? Natalja drückte sich noch tiefer gegen die borstigen Blätter. Sie raschelten leise, kratzten schmerzhaft über ihre nackten Hände.
Der Mönch in wallenden Roben kam näher, bog aber vor dem Wagen ab. An der Fahrertür blieb er stehen. Sein Gesicht, das halb unter der wuchtigen Kapuze verborgen lag, drehte sich in ihre Richtung. Sein Blick direkt auf die Büsche gerichtet.
Ihr Herzschlag stolperte mehrmals, als sie das markante, Gesicht des Mannes erblickte. Altersfleckige Haut spannte sich straff um spitze Knochen, wirkte wie eine Maske des Todes. Von diesem hageren Mönch ging Gefahr aus. Sie konnte sie fast körperlich spüren.
Nach einem endlos langen Moment öffnete der Mönch die Fahrertür und stieg ein. Der Motor brummte auf, der Auspuff wummerte. Grelle Lichterkegel durchschnitten messerscharf die Nebelschwaden. Der Rückwärtsgang knirschte protestierend. Dann setzte der Wagen zurück, aus der Parklücke hinaus und verschwand mit blechernen Geräuschen aus ihrem Blickfeld. Natalja wagte wieder zu atmen. Ganz leise ließ sie die Luft entweichen. Ausatmen und wieder einatmen. Sie blieb solange zwischen den Büschen sitzen, bis das Motorengeräusch nicht mehr zu hören war. Dann krabbelte sie zitternd aus ihrem Versteck.
Was wollte der Mönch hier? Warum kam er aus Eriks Büro? Sofort fielen ihr wieder die Worte des Raben ein. »Wen haben Sie alles über das Kloster informiert?«
Irgendein Zusammenhang musste zwischen Erik, dem Waldkloster und dem Raben also bestehen. Aber welcher? Sie hatte keine Ahnung. Ihr Blick richtete sich vorahnungsvoll auf die Eingangstüre, aus der der Mönch getreten war. Er hatte in Eriks Büro zu schaffen gehabt. Irgendwelche Informationen musste es dort also geben. Langsam setzte sie sich in Bewegung. Sie spürte die rauen Steine unter ihren Turnschuhen. Es roch nach Winter und Schnee.
Die schwarz gerahmte Glaspforte stand einen Spalt breit offen. Sie hatte es beinahe erwartet.
Sicherheitshalber zog sie den Ärmel ihrer Jacke über eine Hand. Sie wollte keine fälschlichen Fingerabdrücke hinterlassen. Sie hatte schon genug Krimis und Thriller in ihrem Leben gesehen, um zu wissen, dass es verhängnisvoll werden konnte. Ein falscher Tritt, der kleinste Fehler, und schon gehört man zum engsten Kreis der Verdächtigen.
Vorsichtig öffnete sie die Türe, als erwarte sie eine tödliche
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