Blut und Kupfer
Dann musste Leander ihr aushelfen. Während der Sessel gleichmäßig schaukelnd durch die Gassen getragen wurde, lehnte sich Marie erschöpft zurück. Zuerst die unangenehme Begegnung mit Tulechow und Gräfin von Larding und nun der Schock durch Gislas Ermordung! Für einen Tag hatte sie wahrlich genug erlebt.
Der Pförtner des Herzogspitals erinnerte sich an sie und ließ sie passieren. Auf der Treppe kam ihr Doktor Zacharias entgegen, der sie freundlich anlächelte. »Die Stichwunde schwärt, aber kein Grund zur Sorge. Das Wundfleisch ist nicht allzu gerötet. Ich habe heute früh den Verband gewechselt. Gott zum Gruße!«
»Dank Euch, Doktor …«, doch die schwarzen Rockschöße des Arztes flogen bereits hinter dem beschäftigten Mann die Treppen hinunter.
Eine schwärende Wunde war eigentlich immer ein schlechtes Zeichen, dachte Marie und übersah ganz in Gedanken den Spitalsdiener Jan, der mit einem zugedeckten Eimer auf ihrer Höhe stehen blieb.
»Grüß Gott, Hochwohlgeboren!«, sagte der schielende Bursche vorlaut.
Es lag eine freche Herausforderung im Ton des Burschen, der Marie verärgerte und sie davon abhielt, seinen Gruß zu erwidern. Es stand dem Diener nicht zu, sie anzusprechen, was sie unter anderen Umständen nicht gestört hätte, doch dieser Jan schien ihr allzu aufdringlich.
Leander saß, wie erwartet, am Bett seines Herrn, sprang freudig auf, als er sie sah, und schob ihr seinen Stuhl hin.
»Danke, Leander. Ich habe Doktor Zacharias getroffen. Die Stichwunde schwärt?«
Der blonde Mann holte sich einen Schemel und strich das Laken über Georgs Brust glatt. Der Verwundete schlief, und sein Atem ging gleichmäßig. Die Gesichtshaut wirkte wächsern, und Marie vermochte keine Verbesserung im Zustand ihres Bruders festzustellen.
»Das ja, aber der Doktor hat sie gesäubert und das schlechte Fleisch weggeschnitten. Bei so einem tiefen Stich braucht das Heilen länger. Herr Georg hat heute Morgen etwas getrunken und zwei Löffel Grütze gegessen.« Fürsorglich betrachtete Leander ihren Bruder, und Marie war froh, dass Georg einen so ergebenen Diener und Freund in der Stunde der Not hatte.
»Oh, wenn Ihr schon hier seid, brauche ich nicht ins Kloster zu gehen.« Leander zog grinsend einen versiegelten Brief aus seinem Wams. »Vom Herrn Sandracce!«
Betont langsam entfaltete Marie das grobe Papier und überflog begierig den Inhalt, der sich auf eine Ortsangabe und Uhrzeit beschränkte. »Wo ist das Höllerbräu?«
»Zwei Querstraßen von hier vorm Färbergraben. Soll ich Euch begleiten?«
»In einer Stunde ist es noch leidlich hell, und die Gegend ist doch friedlich«, meinte Marie und sah, dass Jan sich zwischen den Betten herumdrückte und zu ihr herüberschaute. »Was für ein aufdringlicher Bursche das doch ist«, flüsterte sie Leander zu.
Georgs Diener winkte ab. »Harmloser Einfaltspinsel, der Euch anhimmelt. Vornehme Damen kommen nicht oft her.«
Ein tiefes Grollen ließ alle im Saal zusammenfahren, und durch die offenen Fenster fegte ein Windstoß. Georgs Lider bewegten sich, seine Finger zuckten, und Marie streichelte ihm übers Haar. »Keine Angst, nur ein Gewitter«, murmelte sie.
Der Verwundete öffnete die Augen und brachte heiser hervor: »Ich dachte, Mutter ist hier.«
Marie schluckte und lächelte ihm aufmunternd zu. Neben einem Becher lag ein Lappen, den sie in Wasser tauchte und damit Georgs spröde Lippen befeuchtete. »Ich wünschte mir so sehr, ich hätte sie gekannt.«
»Ihr seid ihr ähnlich, Marie, sehr ähnlich. Danke, dass Ihr hier seid«, flüsterte Georg. »Ich bin ein dummer Kerl, der Euch nur Ungelegenheiten macht und …«
»Ach, schweigt still, Georg. Spart Eure Kräfte und werdet gesund! Das seid Ihr mir schuldig, hört Ihr!«
»Ja, Schwester.« Er versuchte zu grinsen, doch die Wunde auf seiner Wange hinderte ihn daran, und er stöhnte.
Das Donnern verhallte, und der erwartete Blitz blieb aus, doch die dunklen Wolken ballten sich weiterhin über der Stadt, und kurz darauf begann es zu regnen. Georg, den das Sprechen zu sehr anstrengte, schloss matt die Augen, und Marie plauderte mit Leander, der aus verschiedenen Stellungen als Sekretär und Kammerdiener abenteuerliche Geschichten zu erzählen wusste. Als die Stunde ihres Treffens mit Ruben nahte, kramte Marie in ihrem Beutel und brachte die magere Ausbeute von einem Kreuzer und vier Pfennigen zu Tage. »Leander, ich habe das Kloster eilig verlassen und nicht genügend Geld für einen Tragsessel
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