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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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Liu erfahren hatte.
    Kurz darauf ringelte sich ein dreiseitiger Bericht von Liu aus der Faxmaschine. In Anbetracht der kurzen Zeit war er recht ausführlich.
    Tang hatte bereits in jungen Jahren die Mutter verloren und ging noch in die Schule, als ihr Vater arbeitslos wurde. Aus Scham darüber wollte er nicht länger in der Gasse leben und kehrte in sein Heimatdorf in Subei zurück. Sie lebte daraufhin allein und brachte gelegentlich jemanden nach Hause mit. Der Kader des Nachbarschaftskomitees registrierte das sehr wohl, konnte aber nicht, wie noch in den Jahren des Klassenkampfes, ohne Durchsuchungsbefehl in ihr Zimmer eindringen. Zum Glück nahmen die meisten Kunden sie lieber mit in ein Hotel, anstatt sich in dem winzigen Zimmer in der armseligen Gasse mit ihr zu treffen.
    Aus Kostengründen hatte sie weder einen eigenen Anschluß noch ein Mobiltelefon, weshalb sie gelegentlich den öffentlichen Fernsprecher am Eingang der Gasse benutzte. Allerdings besaß sie einen Pager für kurze Textbotschaften.
    Yu fragte bei der Telekommunikationsfirma nach und erhielt umgehend Auskunft: An dem fraglichen Donnerstag abend waren weder Botschaften eingegangen noch abgeschickt worden.
    Als Yu mit dem Bericht zu Ende war, wurde er auch schon in die nächste Krisensitzung des Präsidiums gerufen.
    »Sehen Sie sich die Überschrift an: ›Shanghai im Ausnahmezustand‹.« Parteisekretär Li hielt wutschnaubend eine Zeitung hoch, sein Gesicht war blaß vor Zorn. »Das Präsidium ist zur Lachnummer geworden.«
    Weder Yu noch Liao wußten etwas darauf zu erwidern. Die Überschrift mochte übertrieben sein, aber das Präsidium befand sich tatsächlich im Ausnahmezustand.
    »Die dritte! Und noch dazu am Bund!« tobte Li weiter. »Haben Sie was gefunden?«
    Yu und Liao zogen an ihren Zigaretten und hüllten sich und das Büro in Rauchschwaden. Hongs Gesicht war gerötet, sie preßte die Hand vor den Mund, um ein Husten zu unterdrücken.
    »Wir brauchen einen neuen Ansatz«, bemerkte Liao. »Zwei der drei Opfer stammten aus dem Unterhaltungsgewerbe – um nicht zu sagen aus dem Sexgeschäft. Der Mörder kann sie ohne weiteres in einem Restaurant oder einer Karaoke-Bar aufgegabelt haben. Die meisten Mädchen dort erzählen ihren Familien nicht, womit sie ihr Geld verdienen, deshalb gibt es auch kaum Hinweise auf ihr Verschwinden. Ein solches Mädchen denkt, es sei mit einem Kunden unterwegs, und geht ihrem Gewerbe an eher abgeschiedenen Orten nach, daher leistet es erst dann Widerstand, wenn es bereits zu spät ist.«
    »Und was ist mit Jasmine?«
    »Die hat in einem Hotel gearbeitet«, entgegnete Liao. »Dort konnte sie genauso leicht von ihrem Mörder angesprochen werden. Ihren Freund hat sie ja auch auf diese Weise kennengelernt. Ich finde, wir sollten die Ermittlungen auf diesen Bereich konzentrieren.«
    »Und wie genau?« erkundigte sich Li.
    »Das Motiv ist offensichtlich. Haß auf leichte Mädchen. Vielleicht hat er selbst für eine solche Begegnung büßen müssen – etwa durch eine Ansteckung beim Geschlechtsverkehr –, und jetzt will er sich rächen. Deshalb zieht er seine Opfer aus, ohne Sex mit ihnen zu haben.«
    »Und wie erklären Sie den roten qipao ?«, hakte Li nach.
    »Er kleidet seine Opfer wie jene, bei der er sich angesteckt hat. Als eine Art Symbol.«
    »Aber es wären auch andere Racheszenarien denkbar«, gab Yu zu bedenken. »Sagen wir, eine Frau, die er geliebt hat und die ihn wegen eines anderen sitzenließ. Das macht sie in seinen Augen zur Prostituierten.«
    »Das würde auch die Fundorte erklären. Ich meine Inspektor Liaos Theorie«, meldete sich Hong zu Wort. »Ein Protest gegen das florierende Geschäft mit dem Sex in dieser Stadt. Dafür macht er nicht nur die Mädchen, sondern auch die Stadtregierung verantwortlich, die so etwas zuläßt.«
    »Lassen Sie unsere Regierung aus dem Spiel, Hong«, sagte Li scharf. »Egal, welche Szenarien und Theorien wir hier entwickeln, die Mordserie wird weitergehen. Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun, um den Mörder aufzuhalten?«
    Es wurde ganz still im Büro.
    Im florierenden Unterhaltungsgewerbe der Stadt würde es dem Täter nicht schwerfallen, neue Opfer zu finden. Und allen Anwesenden war klar, daß dieses Gewerbe nicht zu unterbinden war.
    »Ich schlage vor, daß wir uns die in Krankenhäusern dokumentierten Fälle von Geschlechtskrankheiten ansehen.«
    »Das ist zu weit hergeholt«, sagte Li. »Bis wir da durch sind, hat der Mörder erneut zugeschlagen. Uns

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