Blut und Silber
Pack!«
Ohne es allzu auffällig werden zu lassen, hatten die anderen es so eingerichtet, dass Jan und Markus ihre Schlafstatt etwas abseits bekamen. Ihnen war klar, dass die Brüder noch eine Menge zu bereden hatten, nachdem jeder den anderen für tot gehalten hatte.
»Wie kommst du zurecht?«, fragte Markus den Jüngeren, als von der anderen Seite des Speicherbodens erste Schnarchgeräusche erklangen.
Es dauerte so lange, bis Jan antwortete, dass sein Bruder sich schon fragte, ob der andere eingeschlafen war oder so tun wollte, um sich vor einer Antwort zu drücken.
»Von den ersten Tagen weiß ich gar nichts, abgesehen davon, was mir Meister Marsilius später erzählte«, begann Jan zögernd. »Ich war mehr tot als lebendig und dämmerte im Fieber vor mich hin. Als ich wieder einigermaßen bei mir war und sah, dass ich eine Hand verloren hatte, da wünschte ich mir, ich wäre gestorben.«
Er räusperte sich leise, ehe er weitersprach. »Alles in allem muss ich wohl froh sein. Andere hat es schlimmer erwischt, und so viele sind tot … Ich bin ein Krüppel. Aber wenigstens kann ich es denen noch heimzahlen.«
Obwohl er nur flüsterte, war der Hass in seiner Stimme unverkennbar. »Und das Gute daran, dass ich ein Krüppel bin: Jetzt stört es mich nicht mehr, ob sie mich erwischen und aufhängen …«
»Das will ich nicht noch einmal hören!«, fuhr Markus seinen Bruder an. »Wenn ich dich dabei ertappe, dass du aus Verbitterung nachlässig wirst oder es sogar darauf anlegst, dass sie dich kriegen – ich schlag dir persönlich noch die andere Hand ab, ich schwör’s beim Seelenheil unserer Mutter!«
»Immer noch der große Bruder, hm?«, murrte Jan. »Keine Sorge, ich pass schon auf mich auf. Ich bin kein Kind mehr.«
Am Knarren der Fußbodenbretter hörte Markus, dass sich der Jüngere eine andere Lage suchte. Nun lag er auf dem Rücken und starrte nach oben.
»Hast du Sibylla noch einmal gesehen?«, fragte Jan nach einer ganzen Weile. »Sie war wirklich eine Schönheit.«
Die Antwort seines Bruders entlockte ihm einen leisen, erstaunten Ausruf. »Sibylla und von Maltitz! Wer hätte das gedacht?«
Nach einigem Schweigen fügte er an: »Die Weiber kann ich mir jetzt sowieso aus dem Kopf schlagen. Wer nimmt schon einen Einhändigen? Ich könnte keine Familie ernähren … Hättest du übrigens jemals gedacht, dass das hässliche kleine Apothekermündel inzwischen die Frau von Meister Marsilius ist?«
»Sie ist nicht hässlich«, widersprach Markus.
»Ja, ich weiß. Seit sie feine Sachen trägt, sieht sie wirklich hübsch aus. Nur ziemlich traurig. Aber das war sie eigentlich schon immer.«
»Ich fand sie auch vorher hübsch. Und sehr mutig. Ich hatte mich damals bei unserem Streit geirrt. Es war richtig von dir, sie auf die Burg zu holen.«
Bevor Jan etwas Unpassendes sagen konnte, fügte Markus rasch hinzu: »Ich habe in der Nacht, bevor Freiheitsstein fiel, um ihre Hand angehalten.«
Diese Neuigkeit verblüffte seinen Bruder so, dass er sich wieder auf die Seite wälzte und den Kopf auf die unversehrte Hand stützte.
»Du??? Und sie hat nein gesagt und lieber den Medicus genommen?«
Nun erst kam Markus dazu, ausführlich zu berichten, wie er seine letzten Tage in Freiberg erlebt hatte, von der blutigen Einnahme der Stadt bis zu seiner Flucht.
Doch dabei von Änne zu sprechen, riss die ohnehin schon blutende Wunde weiter auf.
»Sie ist so eine Stille …«, sagte Jan.
Ja, das ist sie, dachte Markus zärtlich. Aber nicht, weil sie nichts zu sagen hätte, sondern weil sie weiß, dass jedes kluge Wort sie in Gefahr bringen kann. Hinter dieser Stille verbirgt sich ein Mensch, den ich so gern besser kennenlernen würde.
Doch sein Bruder holte ihn gnadenlos in die Wirklichkeit zurück. »Nun ist sie also die Frau von Marsilius, bis dass der Tod sie scheidet«, fasste Jan gerade nüchtern die Lage zusammen. »Wir haben neuerdings wohl beide kein Liebesglück. Aber was soll’s, hier auf dem Speicherboden ist sowieso nicht der Ort dazu.«
Er schob sich ein Bündel unter dem Kopf zurecht und rollte sich fester in seine Decke. Wenig später war er eingeschlafen.
Markus hingegen lag auf dem Rücken, einen Arm unter dem Kopf, und starrte nach oben, als könnte er durch das Dach auf den Sternenhimmel sehen.
Obwohl er alle seine Gedanken auf die Befreiung der Geiseln richten wollte, kreisten sie ständig darum, wie es Änne als Frau des Stadtphysicus wohl gehen mochte.
Nun begann er seinen
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