Blut und Silber
sahen sich bestürzt an. Weil der Tross langsamer war als die Reiterei und auch das Fußvolk, hatten sie den Anschluss verloren und wussten nicht, was vorn geschah. Aber niemand hätte damit gerechnet, dass das Gefecht schon begann, bevor auch nur ein provisorisches Lager errichtet war.
»He, du! Was erzählst du da? Wieso kämpfen sie schon?«, rief Sibylla dem Jungen zu. »Wir sind noch nicht einmal angekommen!«
Mit strengem Blick brachte sie das Bürschlein dazu, vor ihr stehen zu bleiben, statt weiter an den Karren entlangzurennen und herumzuschreien.
»Ähm … ich weiß nicht genau, was passiert ist … Aber sie kämpfen vorn schon. Erst stürmte nur die Reiterei los, jetzt auch das Fußvolk. Alles, was noch nachrückt, rennt sofort hinterher. Und ihr müsst euch beeilen … Sicher kommen bald die ersten Verwundeten …«
Zumindest die, die noch auf eigenen Füßen laufen können, dachte Änne. Die anderen bleiben auf dem Schlachtfeld, bis der Kampf vorbei ist, jemand sie findet und hierherträgt … oder bis sie sterben.
Sibylla und Änne verständigten sich mit einem Blick; sie dachten beide das Gleiche. Also holten sie sich von dem Karren mit der Feldapotheke die wichtigsten Utensilien und liefen nach vorn.
»Ihr da, kommt mit und helft uns!«, befahl Sibylla vier kräftigen jungen Burschen, der Kleidung nach Bauern, die ihnen als Helfer zugeteilt waren, um Verwundete zu tragen.
Endlich, nach einer Achtelmeile, ließen sie den Wald hinter sich und traten atemlos hinaus auf die Ebene.
Das Stück Wiese unmittelbar vor ihnen war fast verlassen. Nur ein paar Meldereiter hielten sich in der Nähe des thüringischen Banners in Bereitschaft, das in den Boden gepflanzt war. Ein halbes Dutzend Knechte kümmerten sich um die Pack- und Marschpferde der Ritter.
Von der Schlacht um Leben und Tod weiter vorn ließen nur ein paar Staubwolken und das Aufblitzen von Helmen im Sonnenlicht etwas erahnen. Das Rauschen des Flusses neben ihnen war lauter als die Kampfgeräusche, die über die Entfernung noch hierher zu ihnen drangen. Schon gar nicht ließ sich von hier aus etwas über den Verlauf der Schlacht erkennen – nur, dass sie in vollem Gange war.
Ein Priester, der von Leipzig aus mit ihnen gelaufen war, ein rundlicher Mann mit weißem Haarkranz, trat schwer atmend zu den beiden Frauen.
»Heute ist der Tag der heiligen Petronilla«, sagte er. »Sie wird den Männern beistehen.«
Bedächtig ließ er sich auf die Knie nieder und begann zu beten. Alles, was er brauchte, um den Sterbenden das letzte Sakrament zu spenden, hatte er sorgfältig vor sich ins Gras gebettet.
Änne und Sibylla arbeiteten, so schnell sie konnten, um ihr provisorisches Lazarett einzurichten: Sie füllten die Eimer mit Wasser, legten die Messer und Verbände zurecht, schürten ein Feuer im Kohlebecken, damit sie später die Kautereisen erhitzen konnten …Und dann konnten sie nur noch warten. Für einen Moment standen sie nebeneinander, jede in Gedanken bei dem Mann, den sie liebte.
Sibylla konnte nicht die Erinnerung an den Tag zuvor mit Ulrich verbannen – wie verzweifelt er sie in die Arme gerissen und wie er ihr seine geheimsten Gedanken anvertraut hatte. Gott steht den Tapferen bei, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen. Er hat so viele Kämpfe lebend überstanden, all die Jahre lang … Er ist ein bewährter Ritter, er wird auch diesmal aus der Schlacht zurückkehren!
Ulrichs Selbstzweifel sollten getilgt sein nach den Worten, die Markgraf Friedrich am Morgen bei der Messe auf dem Marktplatz gerufen hatte: dass die Männer für ihre Frauen und Kinder, für ihr Leben und ihre Freiheit in den Kampf ziehen würden. Es schien Sibylla, als hätte der Fürst ihre Antwort vom Vortag gehört.
Änne konnte das Warten bald nicht mehr ertragen. Um sich nicht ganz und gar in Ängsten zu verlieren, Markus könnte verletzt oder gar schon tot sein, fasste sie sich ein Herz, trat zu dem weißhaarigen Priester und bat ihn, ihr von der heiligen Petronilla zu erzählen.
Der Geistliche sah die Sorge auf dem Gesicht der jungen Frau und beschloss, diesmal angesichts dessen, was gerade in zwei Pfeilschussweiten Abstand von ihnen vor sich gehen mochte, lieber nicht in allen grausigen Einzelheiten zu erzählen, wie die Märtyrerin einst in Rom starb. Petronilla als Schutzpatronin der Pilger und Reisenden anzurufen, schien ihm ebenso unpassend. Also erzählte er, wie Petrus sie von einem Fieber geheilt hatte. Bald würden diese beiden
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