Blut Von Deinem Blute
deshalb bereits gegen neun Uhr schlafen gelegt. Ich bin den ganzen Abend zu Hause gewesen und kann beschwören, dass sie ihr Zimmer nicht mehr verlassen hat. Am nächsten Morgen haben wir zusammen gefrühstückt und kurz darauf hat uns eine Angestellte über die Tragödieinformiert.« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Das ist alles.«
Leon nickte. Wasserdicht, dachte er. Zumindest im Vergleich zu Mias »War-im-Haus-und-habe-nichts-gehört-aber-trotzdem-alles-aufgewischt«-Version ...
»Und jetzt gebe ich Ihnen einen guten Rat«, sagte Cora Dubois, die ihm noch immer mit unerschrockener Entschlossenheit in die Augen blickte. »Wenn Laura Ihnen auch nur das Geringste bedeutet, dann lassen Sie sie das hier«, ihre Hände machten eine umfassende Geste, »allein regeln. Seien Sie da, wenn sie Sie braucht, aber mischen Sie sich nicht in Dinge ein, deren Folgen Sie als Außenstehender nicht absehen können.«
Sie schlug den Kragen ihres Blazers hoch, bedachte ihn mit einem wenig freundlichen Nicken und ging davon.
9
Laura stand wieder am Küchenfenster und blickte zum Atelier hinüber. Vor wenigen Minuten hatte der Rothaarige die Scheune verlassen, und sie war sicher, dass nun endlich Bewegung in die Sache kommen würde. Mia würde begreifen, dass die Meute sie aufgestöbert hatte, und sie würde tun, was alle Füchse tun, wenn die Häscher zu nahe kommen: Sie würde ihren Bau verlassen ...
Laura spürte, dass der Moment, auf den sie nun schon so lange wartete, unmittelbar bevorstand. Jetzt galt es, fehlerfrei zu funktionieren. Das Richtige tun. Und schnell sein. Oh ja, vor allem das!
Sie atmete tief durch und dachte an den hünenhaften Polizisten, der sie befragt hatte. Aus den Fragen, die er gestellt hatte, war eindeutig hervorgegangen, dass die Polizei an einen Zusammenhang zwischen Conchita Perreiras Tod und dem Doppelmord im Herrenhaus glaubte.
»Nur der Form halber: Wo waren Sie gestern Abend zwischen zehn Uhr und Mitternacht?«
Sie hatte ihre Lüge von vorhin nicht zu wiederholen gewagt. Aber sie hatte auch nicht die Wahrheit gesagt. Zwar hatte sie kurz mit dem Gedanken gespielt, zuzugeben, dass sie im Park gewesen war. Aber sie wusste zu genau, dass dieses Eingeständnis all ihre Chancen zunichte gemacht hätte. Und die Polizei hätte ihr ja sowieso nicht geglaubt. Nicht unter den gegebenen Umständen.
»Ich war hier.«
Der Beamte hatte sich eine Notiz gemacht. »Die ganze Zeit?«
Laura dachte an den Kriminalbeamten mit den stechenden Augen und an den zweifelnden Blick, mit dem er sie vor fünfzehn Jahren bedacht hatte.
»Ja, die ganze Zeit.«
Der Kriminalbeamte mit den stechenden Augen hatte ihr nicht geglaubt, dass sie im Haus ihrer Patentante gewesen war und geschlafen hatte, als ihr Vater starb. Aber er hatte ihr auch nie das Gegenteil beweisen können. Und darauf allein kam es an! Dass sie nichts fanden, um ihr das Gegenteil zu beweisen!
»Gibt es irgendwelche Zeugen? Ihre Schwester vielleicht?«
Ich muss unbedingt mit Cora sprechen und ihr die Sache mit Leon erklären, dachte Laura. Dann wird sie ihren Anruf im Herrenhaus ganz bestimmt für sich behalten.Und die Polizei muss mir glauben, dass ich den ganzen Abend in meinem Zimmer verbracht habe ...
»Nein.«
»Was nein?«
»Es gibt keine Zeugen. Ich war allein.«
»Ihre Schwester war nicht hier?«
»Nein.« Vorsicht! »Das heißt, ich weiß nicht genau ...«
»Sie haben den gestrigen Abend nicht miteinander verbracht?«
»Nein, ich ... Meine Schwester arbeitet viel.«
»Aber sie haben einander doch lange nicht gesehen, oder?«
»Na ja, lange ...«
»Stimmt es, dass Sie seit fünfzehn Jahre nicht zu Hause waren?«
»Wissen Sie, zu Hause ist so ein Begriff, mit dem ich ...«
»Hier auf Jersey, meine ich«, korrigierte er sich eilig.
»Nein.«
»Nicht?«
»Das heißt doch. Ich meine, ja, ich war fünfzehn Jahre nicht hier.«
Nicken. Und kohlschwarze Unergründlichkeit. »Verstehen Sie sich gut mit Ihrer Schwester?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wie ich es sage.«
»Wir haben uns nie besonders nahe gestanden, falls es das ist, worauf Sie hinauswollen.«
»Auch früher nicht?«
»Nein. Das heißt, so was ist rückblickend ziemlich schwer zu sagen, finde ich.«
»Hatten Sie in den vergangenen fünfzehn Jahren überhauptKontakt nach Hause?« Ein süffisantes Lächeln. »Hier nach Jersey, meine ich.«
»Ja, sicher.«
»Auch zu Miss Perreira?«
»Zu Conchita?« Gütiger Gott! »Nein.«
»Hatten Sie denn Kontakt zu Miss Perreira,
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