Blut von meinem Blut: Thriller (German Edition)
unglücklich gemacht. Erst als ich anfing, alles hinter mir zu lassen, mich davon zu läutern, ging es mir allmählich besser. «
» Ja, aber du hattest immerhin etwas, wovon du dich läutern konntest. Alles, was ich habe, sind Bruchstücke. «
» Diese ganzen FBI -Leute und Psychiater, die zu mir gekommen sind. Alles, was sie wissen wollten, war: ›Wie war es, mit ihm aufzuwachsen?‹ «
Dieselbe Frage, die sie Jazz stellten. Dieselbe Frage – und die Zudringlichkeit –, die er so hasste. Jazz verabscheute sich dafür, dass er Samantha exakt in die Lage brachte, die ihn selbst so sehr störte. Aber er konnte nicht anders. Er musste es wissen. Es war keine Frage medizinischer oder akademischer Neugier. Es war eine Frage der Selbsterhaltung.
» Bitte « , sagte er, und da er davon ausging, dass sie alle Tricks von Billy kannte, versuchte er erst gar nicht, sie zu manipulieren. » Bitte. «
Sie trank ihren letzten Schluck Kaffee und ging zur Küchentheke, um neuen zu holen. » Also gut « , gab sie nach, als sie sich wieder setzte. » Gut. « Sie sah auf die Uhr. » Mom müsste noch eine Weile schlafen. Schieß los. «
Plötzlich wusste Jazz nicht, was er fragen sollte. » Hast du es gewusst? « , platzte er heraus.
» Ob ich wusste, dass er all diese Menschen getötet hat? Nein. Ich hatte keine Ahnung. Ich bin zwei Tage nach meinem achtzehnten Geburtstag ausgezogen. Du weißt nicht, wie es hier war. Kleinstadt. Vor dem Internet. Sehr isoliert. Dein Großvater war ein Albtraum. Wenn du beim Essen die Gabel fallen ließt, nahm er schon den Gürtel ab. Mom war immer wirr. Erstarrte vor Angst bei Schwarzen, Latinos, Asiaten, was du willst. «
» Wie hast du es geschafft, normal zu werden? «
» Normal? Ha. Vielleicht. Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht. Ich hatte nie das Gefühl, in die Familie zu passen. Und ich hatte gute Freunde in der Schule, ich habe immer so viel Zeit wie möglich bei ihnen zu Hause verbracht. So war mir schon früh klar, dass andere Familien nicht so lebten, wie es meine tat. Und ich … Es war, als hätte ich mein Leben in zwei Abschnitte geteilt, mit einer Mauer dazwischen, sodass ich an beiden Orten leben konnte, wenn es sein musste. «
» Ja, genau wie ich. Abschottung. «
Samantha grinste. » Du warst also in Therapie, wie es scheint? Gut für dich. Jedenfalls bin ich mit achtzehn ausgezogen, habe die Stadt verlassen und nie zurückgeschaut. Ich habe versucht, mit Mom in Kontakt zu bleiben. Vor allem, nachdem Dad endlich abgekratzt war. Ich hielt sie wohl nicht für gefährlich. Sie erschien mir als der am wenigsten verrückte Mensch im Haus. Was einiges heißen will. «
» Und als die Morde begannen … da hast du nicht …? «
Sie schüttelte den Kopf. » Nein. Keine Ahnung. Schau, ich hatte mich total von ihnen gelöst. Ich wusste, dass er geheiratet hat. Mom hat mir eine Einladung geschickt, aber ich habe nicht reagiert. Ich war überrascht, überhaupt eine zu bekommen. Mom hat deine Mutter wirklich gehasst. «
» Ich weiß. Sie sagt, von da an lief es bei Billy schief. «
» Nun, dann kann ich dir versichern, das stimmt nicht. Ich habe deine Mom nie kennengelernt, aber ich weiß, es stimmt nicht. Ich war nie so nahe daran zurückzukommen, wie ich es war, als ich von deiner Geburt hörte. Damals hätte ich fast einen Flug gebucht. Ehrlich. «
Jazz wusste nicht, ob er ihr glaubte, aber er war ihr dankbar dafür, dass sie seine Gefühle zu schonen versuchte.
» Du darfst nicht vergessen « , fuhr sie fort, » dass niemand die Morde miteinander in Verbindung brachte. Bis er gefasst wurde, war das Ganze keine landesweite Geschichte. Es waren immer nur regionale Nachrichten, und es ist nie etwas dabei aufgetaucht, was mir den Zusammenhang deutlich gemacht hätte. «
» Wie war er? Als Kind? «
» Ich weiß nicht, wie er bei dir war « , begann sie und schob ihre Kaffeetasse im Kreis umher. Jazz’ Kaffee, den er nicht angerührt hatte, war inzwischen kalt. » Aber als ich mit ihm zusammengelebt habe, war mir schon frühzeitig klar, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Ich wusste natürlich nicht, wie sehr, aber ich habe gemerkt, dass er … nicht normal war. Und lange Zeit dachte ich, mit mir würde etwas nicht stimmen, weil es sonst niemand zu bemerken schien. Mom und Dad nicht, von denen ich es allerdings auch nicht erwartet hätte. Aber auch meine Freunde oder deren Eltern nicht. Keine Lehrer. Niemand. Alle hielten ihn für ein kontaktfreudiges, lustiges Kind. Aber ich
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