Blut will Blut
mit
all der zusammenhanglosen Eindringlichkeit eines Alptraumes. Szenen rasten
vorbei, immer wieder von Applaus unterbrochen. Das Licht wurde schwächer,
verschwand ganz, flammte auf, wurde wieder schwächer.
«Läuft gar nicht so übel.»
Spraggue stand in den Kulissen und spürte Karens Gegenwart, bevor er ihr
Flüstern hörte, und erst dann registrierte er, wie aufgedreht er war, jeder
Nerv geschärft für eine neue Katastrophe.
«Haben Sie Langfords Schnitzer
mitgekriegt?» fuhr sie fort. «Muß mindestens sechs unsterbliche Seiten ausgelassen
haben. Emma hat ihn wieder auf den Teppich geholt, während Caroline mit großen
Kuhaugen zugesehen hat.»
«Wünschte, ich hätte es
gesehen», sagte Spraggue.
«Damit werden sie ihn bis in
alle Ewigkeit aufziehen! Der unfehlbare britische Schauspieler!»
Blackout. Karen verschwand.
Spraggue ließ die verkrampften Schultermuskeln spielen, holte dreimal tief
Luft, betrat die Bühne.
Der Vorhang hob sich in
völliger Dunkelheit. Spraggue erstarrte in seiner letzten Szenenposition auf
der rechten Bühnenseite. Scheinwerfer flammten auf, glühten wie eine Galaxis
unerwarteter Sterne.
Greg Hudson sprach zuerst,
jagte wütend über das Bühnenbild, suchte in der Felsengruft den Sarg des
Vampirkönigs.
Harker: Die Slowaken haben den Sarg
hier hereingebracht! Ich schwöre, daß sie es getan haben!
Van
Helsing: Kein
zweiter Ausgang.
Harker: Wir werden sie erwischen!
Zwingen sie zum Reden!
Seward: Keine Zeit, Harker. Die Sonne
ist fast untergegangen.
Van
Helsing: Kommt,
wenn der Sarg hier reingebracht wurde, dann muß er auch noch hier sein.
Vielleicht hinter einer falschen Wand? Ein versteckter Raum?
Seward: Eine Falltür?
Harker: Sie übernehmen die
Wand dort, Doktor. Ich versuche mein Glück hier. Professor, klopfen Sie den
Boden ab. Mina, hilf mir.
Van Helsing: Sie ist zu schwach, Jonathan.
Ich bezweifle, daß sie uns helfen kann.
Seward: Dann bleiben Sie bei ihr,
Professor. Jon und ich werden allein suchen.
Und sie suchten. Fünfundvierzig
Sekunden geschäftiger Stille mit allen klassischen Elementen: Konflikt auf
Leben und Tod, Zusammenprall von Gut und Böse und eine zeitliche Begrenzung —
Eile. Spraggue und Hudson klopften das Bühnenbild ab, wirbelten Staubwolken
auf, lauschten verzweifelt, konzentriert auf ein hohl klingendes Geräusch. Sie
mühten sich ab, Felsbrocken aus Papmache hochzuwuchten, tasteten in Ritzen und
Spalten nach versteckten Hebeln.
Harker: Wie kommen wir nur rein?
Seward: Es muß eine Möglichkeit
geben... irgendwas... um...
Caroline lachte, ein tiefes,
verschlagenes Knurren.
Van
Helsing: Sie weiß
es.
Harker: Mina.
Seward: Hilf uns, Mina.
Mina: Ihr armen, unbedeutenden
Narren! Glaubt ihr denn wirklich, ihr könntet ihn besiegen? Hier, in seinem
eigenen Land?
Seward: Jon, nimm die Spitzhacke. Wir
werden die Wand einreißen!
Mina: Narren!
Harker: Ich habe gespürt, wie etwas
nachgegeben hat! Macht weiter! Der Spalt wird breiter!
Wütend knurrend stürzte sich
Caroline auf Hudson, riß ihm die Hacke aus den Händen. Der Kampf hatte
begonnen.
Hudsons sorgfältige
Choreographie der Szene zahlte sich aus. Caroline kämpfte wie eine Wahnsinnige,
beschimpfte kreischend die drei Männer, war wild entschlossen, ihren
Vampirmeister zu schützen. Seward gelang es, die Hacke ihrem Griff zu
entwinden. Van Helsing packte ihre Arme, drehte sie auf ihren Rücken. Die
Männer trugen sie, tretend und schreiend, zum vorderen Teil der Bühne, fort von
Draculas Versteck.
Sogar die Ohrfeige
funktionierte. Caroline drehte genau im entscheidenden Augenblick den Kopf mit
dem Schlag fort. Tolles Geräusch, kein Schmerz. Einen Moment lang riß sie die
Augen weit auf, sank dann schluchzend zu Boden.
Harker: Mina! Liebling!
Seward: Sie wird schon wieder.
Van
Helsing: Schnell!
Seward: Der Pflock!
Harker: Keine Zeit! Die Sonne! Die
Sonne!
In fieberhafter Eile rissen die
drei Männer die schartige Wand ein, legten die geheime Höhle frei. In der Mitte
der Bühne — eine Plattform. Darauf, leicht nach vorn geneigt, damit das
Publikum das prunkvolle Relief sehen konnte, die kunstvoll gearbeiteten
Schnörkel — der Sarg.
Spraggue und Hudson sprangen
auf das Podest, wuchteten den Deckel des Sarges herunter, schwankten unter dem
vermeintlichen Gewicht. Da lag der Vampirkönig, deutlich sichtbar für das
Publikum, majestätisch und furchterregend. Spraggue bemerkte Schweißperlen auf
Langfords Stirn und
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