Blut will Blut
den Wagen ausrollen. Fünf Uhr fünfundvierzig. Rekordgeschwindigkeit.
Er stieg aus und drückte so
leise wie möglich die Wagentür zu. Ein gutes Auto für einen Schnüffler, Tante
Marys Volvo; der dunkelblaue Lack verschmolz unauffällig mit einem
Müllcontainer. Spraggue kehrte durch die Gasse zurück.
Die Frische vor Tagesanbruch
erinnerte eher an Oktober als August. Spraggue wünschte sich, eine Jacke über
seinen schwarzen Rollkragenpullover gezogen zu haben. Sein linker Fuß trat auf
zerbrochenes Glas. Vor dem Seiteneingang blieb er stehen.
Ja, es war die Arbeit eines
Amateurs. Das kleine Fenster neben der Tür war ungeschickt eingeschlagen. Kein
Glasschneider, kein überlegt geformtes Stück Kitt, einfach nur Stein gegen
Glas. Das Loch war kaum groß genug für die Hand eines Liliputaners. Wer auch
immer das Loch gemacht hatte, er hatte Fersengeld gegeben, als der
Streifenwagen näher kam, und dadurch alles verdorben. Wäre er still und ruhig
geblieben, wo er war, hätte die Polizei nie etwas davon erfahren.
Spraggue machte sich mit seinen
Dietrichen an die Arbeit. Er hielt das Ohr an die Tür, um die Zuhaltungen
einrasten zu hören. Einmal meinte er, Schritte zu hören, aber das konnte auch
Einbildung oder sein Herzschlag gewesen sein.
Der Türknauf drehte sich. Mit
einem leisen Quietschen sprang die Tür auf. Die kleine Eingangshalle dahinter
erinnerte an eine Gruft. Es war kalt, feucht und still. Spraggue drückte die
Tür hinter sich zu, richtete den Strahl seiner winzigen Schlüsselringlampe auf
den Boden. Karen bewahrte Taschenlampen auf einem Regal in der Schreinerei auf.
Die Schreinerei lag unten.
Vorsichtig tastete er sich den
unebenen Boden zur Treppe vor. Die feuchte Kälte ließ ihn rauher atmen. Vorbei
an der Kostümschneiderei, den Lagerräumen, dem Malersaal.
Unten. Nach rechts. Der
hydraulische Versenktisch ragte vor ihm auf, war bei dem Durcheinander des
vergangenen Abends nicht geschlossen worden. Er war zu weit. Also kehrte er um,
tastete sich mit den Händen die Wand auf der rechten Seite entlang, bis er das
Lochbrett und eine geeignetere Taschenlampe gefunden hatte.
Der neue Lichtstrahl war scharf
und hell. Spraggue stieß ein kurzes Stoßgebet aus, daß die Batterien noch eine
Weile hielten, und machte sich dann auf den Weg zur Treppe.
Eine Stunde. Vor sieben Uhr
mußte er wieder weg sein. Bevor die Polizei kam. Eine Stunde, um das
höhlenartige Theater, die Büros, die Garderoben, die Lagerräume, die
Werkstätten zu durchsuchen... Genausogut hätte er zu Hause bleiben können.
Eine Stunde... Er mußte sich
eben einfach auf Intuition, Instinkt und Glück verlassen. Konnte gut sein, daß
es klappte. Irgend etwas war hier.
Aber was? Etwas, das noch nicht
im Theater gewesen war, als die Mitglieder des Ensembles um vier gegangen
waren, aber auf geheimnisvolle Weise um Viertel nach fünf dort war? Die Post
kam todsicher nicht so früh. Nein. Etwas, das schon um vier hier gewesen, aber
zu ungewöhnlich, zu belastend war, um unter den Augen der Cops entfernt werden
zu können? Oder etwas, das gar nicht entfernt werden mußte, das nur verändert,
manipuliert werden mußte...
Spraggue beschloß, sich zuerst
um seinen eigenen Kram zu kümmern, seine persönlichen Angelegenheiten.
Vielleicht war seine Intuition ja in Gang gekommen, wenn er damit fertig war.
Er lief den schmalen Korridor
hinunter, bog rechts ab und nahm die nächste Treppe hinauf zu Dariens Büro.
Die Tür war abgeschlossen, doch
das benachbarte Büro, wahrscheinlich das von Spider, besaß eine Verbindungstür,
die nur angelehnt war. Spraggue schirmte den Strahl der Taschenlampe ab, hielt
ihn nach unten gerichtet. Das einzige Fenster in Dariens Büro war schmutzig und
von einem Dschungel unechter Pflanzen versperrt; trotzdem, lieber nicht
riskieren, daß ein neugieriger Passant draußen etwas mitbekam.
Dariens Büro war leer, still
wie eine Katze, die darauf wartete, ihren Satz machen zu können. Die schwachen
Umrisse der fehlenden Dolche zeichneten sich deutlich an der Wand ab. Darien
würde der Polizei gesagt haben, wann er die beiden Dolche das letzte Mal
gesehen hatte, wessen Idee die Sache mit der Nachbildung gewesen war.
Spraggue griff in die Tasche
seiner Jeans, zog dünne Plastikhandschuhe heraus, strich sie sorgfältig über
seinen Fingern glatt. Dann folgte er dem Strahl der Taschenlampe schnurstracks
zu Dariens Aktenschrank. Schnell ging er den Inhalt durch; er wollte nur eines.
Da: Karen Snow, 2412,
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