Blutbeichte
senkte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass er tot ist.«
»Was hat er gesagt, als er Sie angerufen hat?«
»Nicht viel. Er wollte bloß Hallo sagen.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Wie lange waren Sie beide zusammen?«
»Sechs Jahre.«
»Und was ist dann passiert?«
»Nun ja, das Übliche. Wir waren zu jung. Und zu verschieden. Ich war ehrgeizig, Ethan nicht. Er wünschte sich ruhige Abende, und ich wollte feiern gehen. Wir haben uns auseinanderentwickelt. Es wurde langweilig, wissen Sie.«
»Sie haben beide Ihr eigenes Leben gelebt.«
»Ich wohl in stärkerem Maße als er. Aber dann hat er seine spätere Frau kennengelernt, und sie haben ziemlich schnell geheiratet.«
»Warum hat er Sie in der Nacht, als er starb, angerufen? Was meinen Sie?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Sie haben keine Ahnung?«, sagte Joe. »Wirklich nicht?«
Sie lächelte traurig. »Ich bin eine schlechte Lügnerin, nicht wahr? Eine miserable Lügnerin. Ich glaube, es beunruhigt mich …« Sie seufzte. »Okay. Was soll ich Ihnen sagen? Wird seine Frau von dem Gespräch erfahren?«
»Nicht unbedingt.«
»Ich möchte nicht, dass es für sie noch schlimmer wird. Obwohl ich nichts getan habe … Aber es war schon seltsam, denn in dieser Nacht hat Ethan mir gesagt, dass er mich liebt.«
Joe runzelte die Stirn. »Was? Und wie lange hatten Sie ihn nicht mehr gesehen? Anderthalb Jahre, sagten Sie?«
»Ja. Er hat gesagt, er habe nur angerufen, um mir zu sagen, dass er mich liebt.«
»Was haben Sie geantwortet?«
»Ich war schockiert. Ich meine, er hörte sich ganz normal an. Aber was er da gesagt hatte, war seltsam. Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. Schließlich ist er verheiratet. Ich habegehört, dass er eine reizende Frau und eine Tochter hat und … Ich weiß nicht. Ich liebe ihn nicht … nicht mehr, jedenfalls. Das habe ich ihm auch gesagt. Ich habe von seiner Frau gesprochen und gesagt, dass ich jetzt mein eigenes Leben führe.« Sie zuckte die Schultern. »Jetzt fühle ich mich entsetzlich. Er tut mir furchtbar leid … seine Frau natürlich auch.«
»Hat er über seine Gefühle gesprochen, als Sie ihn auf der Beerdigung Ihres Bruders gesehen haben?«
»Nein. Er war sehr nett zu mir. Aber so war Ethan nun mal. Wir haben keine intensiven Gespräche geführt und uns nicht verabredet. Ich habe ihn zu nichts ermuntert.«
»Wüssten Sie jemanden, der Probleme mit Ethan gehabt haben könnte? Hat er je in Schwierigkeiten gesteckt?«
»Wir sind seit acht Jahren nicht mehr zusammen. Aber früher war Ethan ein ganz normaler und sehr netter Kerl. Ich habe nie erlebt, dass er sich mit jemandem gestritten hat. Er war ein eher unauffälliger Mensch, wenn Sie wissen, was ich meine. Bei ihm hätte ich am allerwenigsten damit gerechnet, dass er ermordet wird … mein Gott!«
Rufo saß hinter seinem Schreibtisch und drückte auf die Tasten seines Handys, als Danny und Joe sein Büro betraten. Rufo hob die linke Hand, um ihnen zu bedeuten, dass sie still sein sollten. Joe und Danny wechselten einen Blick. Joe zuckte mit den Schultern. Rufo konzentrierte sich noch ein paar Minuten auf sein Handy. Nachdem er noch eine Taste gedrückt hatte, legte er das Handy zur Seite und wandte sich den Detectives zu.
»Simsen. Was für eine großartige Möglichkeit zu kommunizieren. Sollten Sie auch mal versuchen.«
»Ich habe in Irland gelebt, schon vergessen?«, erwiderte Joe. »Da ist das Simsen eine schlimmere Seuche als das Saufen.«
»Wem haben Sie denn eine SMS geschickt, Chef?«, fragte Danny.
Rufo hob den Blick. »Das geht Sie gar nichts an. Sagen Sie mir lieber, welchem Umstand ich das Vergnügen Ihres Besuchs verdanke.«
»Ich habe überlegt, ein Treffen mit Reuben Maller vom FBI zu arrangieren, damit er uns ein Profil des Täters erstellt …«, begann Joe zögernd.
»Gut. Tun Sie das. Solange wir alle uns einig sind, dass Sie ihn nur um seine freundliche Unterstützung bitten.«
Joe nickte. »Ich warte erst mal ab, was bei dem Profil herauskommt. Wenn wir zu der Ansicht gelangen, er sollte sich aus irgendeinem Grunde länger bei uns aufhalten, oder wenn er jemanden verhören will, sehen wir weiter. Aber Sie kennen ja Maller. Er ist in Ordnung. Er macht seinen Job und verschwindet dann wieder.«
»In der Versenkung.« Danny gab wie immer seinen Senf dazu.
Rufo verdrehte die Augen.
Anna stand vor der U-Bahn-Station Bay Ridge und wühlte in ihrer großen blauen Handtasche. Schließlich fand sie die weißen Kopfhörer und
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