Blutbeichte
der Glanz in den Augen des Jungen erloschen, und seine Haut hatte eine wächserne Farbe angenommen.
»Was ist?«, fragte Shaun müde.
»Wo warst du heute Nacht?«
»Oh, nicht schon wieder, Mann. Ich war weg, okay? Lass mich jetzt ins Bett gehen.«
»Was ist nur los mit dir?«
»Nichts ist los«, brummte Shaun. »Nichts, okay? Gar nichts.«
»Deine Mutter und ich machen uns Sorgen.«
»Ihr werdet’s schon überleben.«
»Shaun, du bist mein Sohn. Du bist immer ein guter Kerl gewesen. Was ist bloß in dich gefahren?«
»Lass mich in Ruhe«, erwiderte Shaun. »Ich will ins Bett.«
»Deine Mutter war heute in der Schule. Ich weiß, dass du dich noch nicht ums College gekümmert hast.«
»Warum müssen wir jetzt über diesen Mist reden?«, fragte Shaun. »Was hast du für ein Problem? Es ist spät … oder früh. Wie man’s nimmt.«
Joe trat zurück und wartete, bis Shaun sich mühsam aufgerappelt hatte.
»Das war das letzte Mal, dass du betrunken nach Hause kommst, Shaun. Hast du kapiert?«
»Leck mich«, knurrte Shaun.
»Sprich nicht in diesem Ton mit mir!«, fauchte Joe. »Sonst …«
»Sonst was?« Shaun ging einen Schritt auf Joe zu und starrte ihm ins Gesicht.
»Mach es nicht noch schlimmer, als es ist.«
»Schlimmer, als in diesem Haus zu wohnen, in dem meine Mutter den ganzen Tag mit ’ner Miene rumläuft, als wäre ihr Sohnemann abgekratzt?«
Joe packte Shauns Arm. »Jetzt hör mir mal gut zu, mein Junge. Ich liebe deine Mutter. Ich lasse es nicht zu, dass jemand respektlos über sie spricht, am allerwenigsten mein eigener Sohn. Und jetzt geh mir aus den Augen.«
6
Danny und Joe hielten gegenüber von dem Haus, in dem Clare Oberly wohnte, und parkten den Wagen vor einer Reinigung. Der Besitzer, ein älterer Mann, stand draußen vor dem Fenster. Er rauchte eine Zigarette und beobachtete die Detectives neugierig.
An einem Umzugs-Lkw vorbei gingen sie zum Haus und betraten einen hell erleuchteten Eingangsflur mit schmutzigem Steinfußboden. Ein Paar in Shorts und T-Shirts schleppte eine Kommode an ihnen vorbei. Der Mann zog eine Schweißwolke hinter sich her.
»Meine Güte«, sagte Danny zu Joe. »Hat der Typ kein Deo?«
Das Paar, das offenbar aus dem Haus auszog, hatte einen der Aufzüge blockiert. Joe und Danny nahmen den anderen Lift und fuhren in den zehnten Stock hinauf. An der Tür zur Wohnung 10B klingelten sie.
Eine attraktive Blondine Mitte dreißig in einem lindgrünen Chiffon-Top, weißer Jeans und rot-grünen Schuhen mit Plateausohlen öffnete. Um ihren Hals hing eine wertvolle mehrreihige Kette aus bunten Perlen.
»Guten Tag«, sagte Joe. »Sind Sie Clare Oberly?«
»Ja.«
»Ich bin Detective Joe Lucchesi. Das ist mein Partner Danny Markey. Wir ermitteln in einem Mordfall. Sie haben gestern Abend gegen elf Uhr einen Anruf erhalten, nicht wahr?«
»Ja, warum?«, antwortete sie nach kurzem Zögern.
»Wer hat Sie angerufen?«, fragte Joe.
»Ethan Lowry.« Ihr Blick glitt von einem zum anderen. »Warum fragen Sie?«
»In welcher Beziehung stehen Sie zu Mr Lowry?«, fragte Joe.
»Wir waren zusammen, als wir zum College gingen. Ist was mit ihm?«
»Dürfen wir hereinkommen?«
»Oh … entschuldigen Sie. Ja, sicher. Ich bin unhöflich. Kommen Sie bitte herein.« Clare Oberly führte die Detectives in ein offenes Wohnzimmer, wo ein großes Gemälde von Miró an einer Wand hing. Clare setzte sich und wies auf das Sofa gegenüber. »Bitte, setzen Sie sich.«
Die Detectives nahmen Platz.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Clare.
Joe sagte ohne Umschweife: »Es tut uns sehr leid, Mrs Oberly, aber Mr Lowry wurde ermordet.«
»Was sagen Sie da?«, rief Clare. »Ethan?« Sie schüttelte den Kopf. »O Gott. Er ist so … Was ist denn passiert? Er ist gar nicht der Typ, der … Ich begreife das nicht.«
»Er wurde in seiner Wohnung ermordet. Wir vermuten, dass er Sie angerufen hat, kurz bevor die Tat verübt wurde. Und wir müssen herausfinden, warum.«
»Mein Gott. Ich weiß es nicht. Ich meine … Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mit seiner Ermordung zu tun hat. Wir haben uns gar nicht mehr so gut gekannt. Ich gehöre bestimmt nicht zu den Leuten, die er angerufen hätte, falls er in irgendwelchen Schwierigkeiten gesteckt hat. Wir standen uns nicht mehr sehr nahe.«
»Wann haben Sie zum letzten Mal mit ihm gesprochen?«
»Vor anderthalb Jahren. Bei der Beerdigung meines Bruders. Es war nett, dass er damals gekommen war. Ethan war immer sehr liebenswürdig.« Sie
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