Blutbeichte
an seinem Leichnam würde ein solches Insekt zu einem solch frühen Zeitpunkt interessieren. Erst nachdem die Fliegen ihre Eier abgelegt und die Larven sich in die Dunkelheit verkrochen hatten, um sich zu verpuppen, tauchten Speckkäfer auf, um das getrocknete Gewebe zu fressen. William Anetos Leichnam hatte kein trockenes Gewebe aufgewiesen. Er war innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach seiner Ermordung gefunden worden – und davon waren acht Nachtstunden gewesen, in denen Insekten nicht aktiv waren.
Joe breitete sämtliche Fotos von William Anetos Wohnung auf den Schreibtisch aus und suchte nach anderen Quellen, die einen Speckkäfer hätten anziehen können. Diese Insekten fraßen auch Fell und Haare. Doch so etwas gab es hier nicht. Joe betrachtete die Bilder der Wohnung. Sie war modern und zweckmäßig eingerichtet, viel Kunststoff und Chrom und glänzende, glatte neue Oberflächen. Joe entdeckte nichts, das die Anwesenheit des Speckkäfers hätte erklären können. Es könnte höchstens sein, dass es in dem Haus ein anderes totes Lebewesen gegeben hatte, eine Maus oder eine Ratte. Aber dann hätten dort mehrere Speckkäfer sein müssen, und auf den anderen Fotos hatte Joe keine gesehen.
»Du hast Post bekommen«, sagte Rencher und hielt einen weißen Umschlag hoch, auf dem Joes Name stand.
Joe schaute auf den Umschlag. Dann zog er Latexhandschuhe aus der Schublade, streifte sie über und schlitzte den Umschlag auf: Es war wieder ein langer Brief, wieder in einen Umschlag gestopft, der nur für zwei oder drei Blätter vorgesehen war. Rencher blieb neben Joes Schreibtisch stehen.
»Wir sprechen gleich darüber.« Joe wies mit dem Kopf auf Renchers Schreibtisch.
Rencher zuckte mit den Schultern und schlurfte davon. Joe ging zum Kopierer, machte Kopien für sämtliche Kollegen und steckte das Original dann in einen Umschlag. Auf dem ersten Brief hatte das Labor keine Fingerabdrücke gefunden;Joe hoffte, dass sie diesmal mehr Glück hatten. Er setzte sich mit seiner Kopie an den Schreibtisch, las die Seiten durch und markierte einige Stellen. Als er den Brief dreimal gelesen hatte, rief er die Kollegen zu sich.
»Okay«, begann Joe. »Der zweite Brief, der gleiche Umschlag, dieselbe Schrift, und er wurde etwa um die gleiche Zeit in derselben Poststelle abgeschickt. Und wieder ein ähnlicher Mist. Es ist die Rede davon, in eine Galerie zu gehen, in den Park, spirituell zu sein, in der Küche eines anderen Plätzchen zu backen … was immer das alles bedeuten mag.« Er blätterte die Seiten durch. »Hier steht eine Menge über Vergebung und Wiedergutmachung. Und das Gute und Böse. Und dann kommen wir zu dem Fall: ›Es berührt mich sehr. Ich weiß nicht warum. Ich verfolge die Ermittlungen im Fall des Besuchers mit Interesse, wenn ich Gelegenheit dazu habe.‹ Dann: ›Doch ich weiß, dass ich Ihnen tief in meinem Innern persönlich Glück wünsche.‹ Der Brief ist mit den Worten unterzeichnet: ›Gott sei mit Ihnen. Mögen Engel auf Ihrer Schulter sitzen und Ihre Last lindern.‹« Joe zuckte mit den Schultern.
»Was ist das denn für ein Schwachsinn?«, sagte Martinez.
»Gute Frage«, murmelte Joe.
Rencher meinte: »›Ich wünsche Ihnen Glück.‹ Schreibt er das vielleicht, weil er die Mordserie beenden will? Haben wir es mit einem Killer zu tun, der geschnappt werden will?«
Joe schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht. Er war die ganze Zeit sehr vorsichtig.«
»Vielleicht will er eben nicht geschnappt werden«, meinte Rencher.
»Warum kontaktiert er uns dann überhaupt?«, fragte Joe.
»Weil er uns nerven will«, erwiderte Rencher.
»Für mich hört sich dieser Brief so an«, sagte Danny, »als wollte dir ein Nachbar ein paar Tipps geben. Tipps, die allerdings nutzlos sind, weil du weißt, dass der Typ nicht ganz dicht ist.«
»›… irgendwo tief in meinem Innern wünsche ich persönlich Ihnen Glück.‹ Es könnte jemand sein, der den Besucher kennt«, überlegte Rencher.
»Oder der Zeuge des Verbrechens wurde«, warf Bobby ein.
»Oder Opfer eines Verbrechens«, sagte Rencher.
»Oder der Opfer des Besuchers geworden ist.« Joe räusperte sich.
Die Kollegen schauten ihn an.
»Ach du Schande«, stieß Danny hervor.
»Es hört sich jedenfalls nicht nach einem Psychopathen an«, meinte Joe. »Ich frage mich, ob es einer dieser harmlosen, gestörten Loser sein könnte, die bei Mama wohnen.«
»Vielleicht ist alles nur ein großer Haufen Mist«, sagte Danny.
Die Detectives
Weitere Kostenlose Bücher