Blutbeichte
Cardino’s.«
Er lächelte. »Ins Cardino’s? Ich glaube, da habe ich einmal ein schönes französisches Mädchen betrunken gemacht, und am Ende musste es mich heiraten. ›Isch bin Französin. Krieg isch noch eine Bier?‹«
»Du hast einen furchtbaren Akzent.« Anna lächelte und drehte sich zur Seite, wobei sich ihr Morgenmantel öffnete und ihr von den Schultern rutschte.
»Hier.« Joe hielt den schwarzen Seidengürtel in die Höhe. »Du bist nicht schnell genug.«
Artie Blackwell war der kleinste Journalist in ganz New York. Er hatte kurzes, stacheliges graues Haar und einen wuchernden grauen Bart, der ihn stets ein wenig ungepflegt erscheinen ließ. Artie lungerte vor dem Gebäude der Mordkommission Manhattan Nord herum und schwitzte in der Morgensonne, denn das Gewicht mehrerer Schultertaschen mit Werbeaufdrucken machte ihm zu schaffen.
»Hallo, Joe!« Artie tippte an seinen blauen Anglerhut. »Detective Lucchesi kämpft mal wieder an vorderster Front gegen das Böse in der Welt, was?«
»Hallo, Artie«, sagte Joe und schaute auf ihn hinunter. »Pass auf, dass keiner auf dich drauftritt.«
Artie knurrte. »Für diese Bemerkung bringst du mich auf den neuesten Stand der Dinge!«
»Okay«, sagte Joe. »Ich habe den Lowry-Fall übernommen, und mein Partner ermittelt im Aneto-Fall.«
»Das war dieser Besucher, nicht wahr?«, sagte Artie. »Gruseliger Name. So einen Besuch möchte ich wirklich nicht bekommen.«
Joe verdrehte die Augen. »Ja, das grelle Licht der Kameras hat unseren Polizeipräsidenten inspiriert, und da ist ihm dieser grandiose Name eingefallen. Einige Journalisten meinten, er höre sich schaurig genug an, um die Öffentlichkeit damit in Furcht und Schrecken zu versetzen. Dabei wüsste ich eine Reihe anderer Namen für den Täter.«
»Zum Beispiel?«, fragte Artie begierig. »Nun sag schon!«
Joe seufzte. »Lieber nicht. Was kann ich für dich tun, Artie?«
»Hast du was für mich?«
»Nein, hab ich nicht. Aber vielleicht hast du Lust auf einen flotten Dreier mit dem Leiter unserer Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit.«
»Könnte ich machen.«
»Komm schon, Artie. Du weißt, dass ich dir nichts sagen kann. Ich bin heute Morgen gut gelaunt zur Arbeit gekommen, also bitte …«
»Irgendwas, das kein anderer weiß. Wirf mir ein paar Brocken hin.«
Joe schaute ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Warum bist du überhaupt hier?«
Artie zuckte mit den Schultern. »Ich war gerade in der Gegend.«
»Ja, sicher. Rein zufällig.« Joe lachte und ging zur Eingangstür.
Artie musste laufen, um mit ihm Schritt zu halten. »Hastdu bei den Ermittlungen im Fall Duke Rawlins Fortschritte gemacht?«
»In diese Ermittlungen bin ich nicht direkt verwickelt«, sagte Joe, plötzlich ernst geworden. »Sprich mit dem … ach, finde selbst heraus, mit wem du sprechen musst. Mach’s gut, Artie.«
Joe saß an seinem Schreibtisch und blickte auf die Aneto-Akte, die vor ihm lag. Er betrachtete die Fotos von der Diele und die Nahaufnahmen der Blutflecke und suchte nach irgendeiner plausiblen Erklärung, warum der Killer gerade hier mit seinen Bluttaten begonnen hatte. Es gab zwar keine Gewissheit, dass Aneto das erste Opfer gewesen war, doch es war unwahrscheinlich, dass dem nicht so war. Alle Dezernate waren aufgefordert worden, ihre Akten nach ähnlichen Fällen zu überprüfen, aber bisher hatte niemand etwas gemeldet. Und die Chance, dass eine Leiche seit über einem Jahr unentdeckt in einer New Yorker Wohnung lag, tendierte gegen null.
Joe schaute sich aufmerksam die Fotos an. Er hatte sie sich schon mehrmals angesehen, doch er suchte nach neuen Anhaltspunkten, wobei er hin und wieder an einer Tasse Kaffee nippte. Nach dem sechsten Foto stutzte er. Es war in der Diele aufgenommen worden – eine Nahaufnahme von Anetos Oberkörper, auf der nichts Auffälliges zu sehen war, außer einem dunklen Fleck in der Ecke des Bildes. Joe schaute sich den Fleck genauer an. Wenn es das war, was er glaubte, war es vollkommen fehl am Platze. Er nahm eine Lupe aus der Schreibtischschublade und schaute sich schnell um, ehe er sie über das Foto hielt. Er hatte recht. Es war ein Speckkäfer aus der Familie Dermestidae. Joe hatte zwei Jahre lang Entomologie studiert, das Studium dann aber abgebrochen, um Polizist zu werden. Sein Vater war Professor für forensische Entomologie.
Joe wandte sich wieder dem Foto zu. William Aneto konnte nicht der Grund für die Anwesenheit des Speckkäferssein – nichts
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