Blutberg - Kriminalroman
richtig, sie mit allen anderen Besitztümern der Witwe zuzustellen. Er fand, dass er es Ásmundur
schuldig war«, erklärte Katrín achselzuckend. »So hat er sich ausgedrückt. Sobald sich die Lage wieder beruhigt hätte, wollte er ihr das zuschicken und ihr sagen, dass das Blatt versehentlich zurückgeblieben wäre oder irgendetwas in der Art, und dabei hoffte er, dass sie deswegen nichts unternehmen würde. Ich weiß nicht, es klingt schon reichlich absurd, aber er hat die Seite aufbewahrt und sie uns auch quasi umgehend ausgehändigt, als ich ihm das auf den Kopf zusagte - das passt nicht zu einem abgebrühten Verbrecher. Es sind vielleicht vor allem diese zwei Punkte, die es mir schwer machen, ihn als Mörder zu betrachten. Ich tendiere eigentlich eher dazu, ihm zu glauben.«
»Trotzdem klingt das doch alles irgendwie an den Haaren herbeigezogen«, sagte Steinþór zweifelnd. »Der Witwe diese Seite zu schicken, was soll denn der Quatsch? Er lebt im Nachbarhaus und war vermutlich Ásmundurs engster Vertrauter. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass es sich ungefähr so zugetragen hat, wie wir gestern besprochen haben?«
»Angeblich hat Matthías ein Alibi«, warf Árni ein. »Wir haben das natürlich noch nicht überprüfen können, aber seinen Aussagen zufolge war er in der Nacht zum Sonntag ständig unterwegs. Unten in der Schlucht, hier im Büro, bei Ricardo, in der Lagerhalle, in der Kantine und so weiter. Er hat uns auch etliche Namen von Leuten genannt, die das bezeugen können. Aber ich weiß nicht, falls Ásmundur ihn tatsächlich angerufen hat und er zu ihm gegangen ist - wenn er nicht allzu sehr herumgeklüngelt hat, geht es im Grunde genommen doch nur um ein paar Minuten. Deswegen glaube ich, dass dieses Alibi nicht so richtig stichhaltig ist. Es ist ja auch nicht so, als hätte er kein Motiv gehabt.« Er nickte in Richtung der Seite, die vor Stefán lag. »Das da hätte ihn Kopf und Kragen kosten können, das hat er sogar selbst zugegeben.«
»Trotzdem hat er die Seite aufbewahrt und uns sofort überlassen,
als wir ein bisschen Druck gemacht haben«, unterbrach Katrín ihn. »Er scheint allerdings auch ein ziemliches Nervenbündel zu sein. Könnt ihr euch erinnern, als wir hier ankamen und er die Treppe hinunterfiel? Hat ihm nicht die Krankenschwester daraufhin ein Schlafmittel verpasst? Das stimmt ziemlich genau mit dem überein, was er selber über Stress und Schlaflosigkeit gesagt hat.«
»Es passt aber auch ziemlich gut zu dem, was du heute Nacht zu ihm gesagt hast«, widersprach Árni. »Man schläft vielleicht nicht besonders gut, nachdem man seine Freunde umgebracht hat, es sei denn, man ist ein vollkommen abgebrühter Mensch. Und wie du sagst, Matthías macht nicht den Eindruck, als sei er das. Er könnte aber trotzdem Ásmundur umgebracht und deswegen die Nerven verloren haben.«
»Vielleicht«, gab Katrín zögernd zu, »aber eigentlich glaube ich das nicht. Ich denke, dass …«
»Das wird sich alles herausstellen«, schaltete sich Stefán ein und benutzte die Gelegenheit, sich über eine seiner Lieblingstheorien auszulassen. »Ich gehe wie ihr davon aus, dass Matthías kein total kaltschnäuziger Verbrecher ist. Er wirkt auf mich wie ein ziemlich normaler und rechtschaffener Mann, und die Erfahrung hat mich gelehrt, dass solche Menschen, wenn sie denn tatsächlich in ein derartiges Dilemma hineingeraten, nicht lange mit einem Mord auf dem Gewissen durchhalten. Das schaffen sie einfach nicht, früher oder später klappen sie zusammen und kommen zu uns. Gar nicht zu reden davon, wenn solche Leute auch noch wegen anderer Dinge enorm unter Stress stehen, wie Matthías in den letzten Tagen. Also - wenn er tatsächlich Ásmundur umgebracht haben sollte, wird er es uns früher oder später sagen. Eher früher, und ich muss mich da Katrín anschließen - er ist irgendwie kein sehr wahrscheinlicher Kandidat. Meiner Meinung nach hätte er, wenn er tatsächlich dafür verantwortlich wäre,
gleich heute Nacht ausgepackt. Ich habe mir allerdings diese Seite, die er entwendet hat, noch einmal genau angesehen«, fuhr er mit bedeutungsvoller Miene fort, »und bin da über etwas gestolpert.« Er blickte in die Runde und lächelte ungewöhnlich selbstgefällig.
»Das Bohrloch«, sagte Árni schläfrig und war genauso überrascht über sich wie alle anderen, »da war nämlich schon ein Loch in den Grat gebohrt worden, und zwar in einer Spalte. Hervorragend geeignet für eine Dynamitladung.«
Wenn
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