Blutberg - Kriminalroman
selbst dreckig gegangen war. Aber er konnte sich nicht dazu durchringen, es ging einfach nicht. Er fand es unpassend und war sich sicher, dass sein Vater der gleichen Meinung war und völlig verquer reagieren würde, falls er die Rolle des Trösters übernahm, die Rolle des Vaters. Deswegen war er wie vom Donner gerührt, als Valdimar sich endlich vom Fenster abwandte und mit ausgebreiteten Armen und tränennassen Wangen auf ihn zuwankte.
»Mein Biggi«, lallte der Alte, »Birgir, mein lieber Junge …« Birgir stand auf und wich in Richtung Tür zurück. Seine verwirrte Miene drückte keineswegs die Empfindungen aus, die da in seinem Inneren rumorten. Das war peinlich, unangenehm, scheußlich. Das durfte nicht wahr sein. Sein Vater, dieser knallharte Kerl, der konnte doch nicht total besoffen sein, ein flennendes Häufchen Elend, und das bereits am Vormittag. Mitleid und Besorgnis waren im Nu verflogen, als er diesem
jammernden, besoffenen Wrack ins Gesicht blickte. Er wich aus, als Valdimar ihn umarmen wollte, zog eine Grimasse und riss die Tür weit auf.
»Hättest du so geflennt, wenn ich krepiert wäre, du verdammter Hornochse?«
Valdimar stolperte rückwärts, starrte seinen Sohn völlig verständnislos an, sagte aber nichts.
»Mensch, reiß dich doch zusammen«, sagte Birgir, sah seinen Vater verächtlich an und schlug die Tür hinter sich zu. »Verfluchter Mist«, murmelte er und biss die Zähne zusammen, »verfluchte Kacke. Verfluchter Dóri.« Er schwang sich ins Auto, knallte die Tür zu und startete. »Dreimal verfluchter Dóri.« Als er losbretterte, wirbelte der Schnee zu allen Seiten hoch, und die Scheibenwischer schafften es kaum, ihm die Sicht auf die fast unkenntliche Piste zu ermöglichen, die farblich keinerlei Kontrast zum allgegenwärtigen Schnee bot. Er fuhr sich rasch mit den tätowierten Handknöcheln über die Augen und beschimpfte sich selber. »Du verdammtes Weichei, verdammte Scheiße! Verfluchter Dóri! Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Birgir hatte keine Ahnung, wohin er fuhr, behielt aber trotzdem die Richtung bei, und das Selbstgespräch ging die ganze Zeit im gleichen Stil weiter.
Valdimar sank zu Boden, als die Tür hinter Birgir ins Schloss gefallen war. Er zog die Schnapsflasche aus dem Anorak und setzte sie an den Hals, um das wenige, was noch übrig war, herunterzukippen, bevor er die Flasche in die Ecke schleuderte. Dabei zerbrach sie aber nicht, sondern kam seelenruhig wieder zurückgerollt. Wie hypnotisiert beobachtete er ihren Trip und stieß sie wieder von sich, als sie in seine Reichweite gekommen war.
»Verzeih«, lallte er hinter der Flasche her. »Es ist alles meine Schuld, verzeih.« Er war sich nicht ganz sicher, an wen diese Worte gerichtet waren, aber das war ja auch egal. Die Flasche
verlangsamte ihre Fahrt und kam zum Stillstand, rollte dann aber ein weiteres Mal zurück. Valdimar war jedoch bereits eingeschlafen, als sie bei seinen Füßen Halt machte.
Das Camp der National Power Company war nicht sehr groß. Es bestand aus einem zweistöckigen Verwaltungsgebäude und einigen kleinen Doppelunterkünften östlich davon, vor denen sich ein langgestrecktes, niedriges Gebäude befand. Alle Bauten hatten dieselbe moosgrüne Farbe und machten den Eindruck, als seien sie aus hölzernen Bauteilen zusammengesetzt, und erinnerten an Container. Einige davon waren auch kaum mehr, insofern passte der Vergleich gar nicht schlecht. Am westlichen Ende des langgestreckten Gebäudes befanden sich Küche und Kantine, und daneben der Aufenthaltsraum mit dem Fernseher. Dahinter lag ein langer schmaler Flur mit unzähligen Türen zu beiden Seiten und einem Fenster am anderen Ende. Ungefähr in der Mitte des Flurs blieb das Mädchen stehen und drehte sich um.
»Hier sind die Toiletten«, sagte sie mit den entsprechenden Handbewegungen, »und gegenüber die Duschen.« Sie sah Katrín entschuldigend an. »Leider gibt es keine Extratoilette für Frauen, aber vorne bei der Kantine ist noch eine, die wird viel weniger benutzt. Und in den Duschen kann man von innen abschließen.« Katrín nickte, und das Mädchen setzte sich wieder in Bewegung. »Ihr seid in den vordersten Zimmern. Es gibt noch einige andere, die leer stehen, aber die sind über den Gang verstreut. Matthías hat gesagt, ihr würdet bestimmt gern zusammenliegende Zimmer haben.«
»Ja«, sagte Stefán, »das ist prima so.«
»Die Schlüssel stecken, in Ordnung? Und Kaffee steht in der Kantine bereit.« Mit diesen
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