Blutbraut
verdreht, noch immer in seinem Griff, schrie, zerrte daran, schlug nach seinem verletzten Bein. Er wich aus, fluchte. Für eine Sekunde war ich frei. Ich taumelte hoch und vorwärts, knickte um, fing mich. Meine eigenen Haare waren in meinem Mund. Im nächsten Moment packte er mich um die Mitte, nahm mir den Boden unter den Füßen, drückte mich gegen seine Brust, schleifte mich zum Wagen zurück. Aus! Ich
erschlaffte in seinem Griff, schluchzte nur noch. ›Sanguaíera.‹ Sie brachten mich zu ihm.
»Worauf wartest du? Steig ein.« Die Worte waren nur ein Grollen, galten Cris. »Abner hatte in Boston viel zu viel Zeit, sich daran zu erinnern, dass sein Patron gerade hier ganz in der Nähe ist. Vielleicht ist er längst auf die Idee gekommen, Ezra zu stecken, wo er uns eventuell finden kann. Ich will sie so schnell wie möglich auf Santa Reyada und in Sicherheit haben.« Rafael schob mich in den Fond der Limousine. Der andere Mann starrte mich erschrocken an. Ich stolperte über den Schweller, landete auf Händen und Knien zwischen der Sitzbank und der Trennwand, riss Rafael halb mit. Sandfarbenes Leder, helles Holz, samtiger Teppich.
»Nach Santa Reyada, Hernan!« Er zog mich vom Boden hoch auf den Rücksitz.
»Sí, Rafael.« Die Tür schlug hinter uns zu. Ich krümmte mich zusammen. Gleich darauf eine zweite, dann noch eine. Der Motor schnurrte kaum hörbar auf, der Wagen setzte sich in Bewegung. Das Einrasten einer Türverriegelung. Rafaels Arm lockerte sich um meine Mitte, gab mich schließlich endgültig frei. Beinah lautlos senkte sich die Trennscheibe. Cris hatte sich auf dem Beifahrersitz umgedreht.
»Bist du in Ordnung, Lucinda?«
Ich sah ihn an. Was dachte er? Sie brachten mich zu ihm. Ich kroch in die Ecke, fort von Cris, fort von Rafael, begegnete den Augen des Fahrers im Rückspiegel.
»Lucinda?« Cris hatte sich noch weiter umgewandt.
»Lass sie in Ruhe, Cris.« Mit einer entschiedenen Geste ließ Rafael die Trennscheibe wieder hochfahren, blickte zu mir her, schüttelte den Kopf. »Komm schon, tigresa, niemand wird dir
etwas tun. Es gibt keinen Ort, an dem du sicherer wärst als auf Santa Reyada. Joaquín wird den Boden unter deinen Füßen anbeten, nachdem wir dich endlich gefunden haben.«
Ich drückte mich noch tiefer in die Ecke. Er stieß ein Seufzen aus, sagte aber nichts mehr. Ich saß da und starrte aus der dunkel getönten Scheibe, blind, ohne etwas zu sehen, selbst wenn es etwas zu sehen gegeben hätte. Es war vorbei. Ich hatte meine letzte Chance verspielt. Ich konnte niemanden täuschen. Ich konnte es einfach nicht ertragen. Er würde seine Zähne in meinen Hals schlagen, wann immer er mein Blut brauchte. Ich würde den Rest meines Lebens eingesperrt verbringen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich damals nicht entkommen, sondern gestorben wäre, wie Tante María.
Santa Reyada war dunkel, als wir es erreichten. Ein massiger, zusammengekauerter Schatten, in dessen hohen Fenstern sich der Nachthimmel mit seinen Sternen spiegelte. Scheinbar verlassen. Würde nicht irgendwo Licht brennen, wenn er da wäre? War er fort? Auf der Jagd, sich irgendwo ein anderes Opfer suchen? Hatte ich doch noch eine kleine Gnadenfrist? Mein Herz hing in meinem Hals.
Die Hand wie zuvor an meinem Ellbogen, dirigierte Rafael mich aus der Limousine und die Stufen der ausladenden Treppe hinauf. Cris war hinter uns. Zu beiden Seiten wuchsen Büsche. In einem raschelte es. Gleich darauf flatterte ein Vogel davon. Rafael stieß die schwere Eingangstür auf. Nicht verschlossen. Würde sie es später sein? Jetzt, da ich hier war? Ein Ornament aus buntem Glas schimmerte auf, als sie aufschwang, klirrte leise. Dahinter: Schwärze. Rafael brummte, schob mich weiter, das Klacken eines Schalters, dann flammte
sanft gedämpfte Helligkeit auf. Weiß verputzte Wände, helle Steinfliesen auf dem Fußboden; dicke, bunte Teppiche; weit offen stehende Türen und Durchgänge, die in den hinteren Teil des Hauses und in dunkle Räume rechts und links führten. Gegenüber der Eingangstür die Treppe in den ersten Stock. Auf dem Absatz, dort, wo sie im rechten Winkel die Richtung wechselte, stand eine riesige Bodenvase mit Blumen. In ihrem Schatten glänzte der schwarze Lack eines Flügels. Rafael ging mit mir weiter, die Stufen hinauf. Der Duft von Lavendel strich mir entgegen.
»Warte!« Plötzlich war Cris’ Hand an meinem anderen Arm, zwang mich stehen zu bleiben.
Rafael drehte sich unwillig um. »Was
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