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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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einer Hand in die andere fallen … hin und her … hin und her … Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ihm noch nicht einmal die kleinste Bewegung von mir entging. Ich schaute beiseite. Mein Blick fiel auf meine Füße, blass und schmal. Klein. Es war absurd, aber
plötzlich wünschte ich mir, meine Zehennägel wären lackiert. Ich hatte einmal einen dunkelvioletten Nagellack besessen; gefunden in der Dusche eines dieser privaten Fitnessräume und mitgenommen. Vermutlich hatte ich den gleichen in meinem Badezimmer auf Santa Reyada stehen. Ein bisschen Chic in meiner grauen Welt. Ob es ihm wohl aufgefallen wäre? Es war nicht fair gewesen, ihn einen Lügner zu nennen, nach ihm zu schlagen, ihn wegzuschicken.
    Zögernd rutschte ich von dem Felsen herunter und ging auf ihn zu. Der Kies war warm. Als ich ihn beinah erreicht hatte, ließ er die Steine in den Fluss rieseln und erhob sich, sah mir schweigend entgegen. Direkt am Wasser blieb ich stehen.
    »Es tut mir leid.«
    »Was? Dass du mich geschlagen hast, als ich dir etwas sagte, das dir den Boden unter den Füßen weggezogen hat, und als ich dir dann auch noch zu nahe gekommen bin? Glaub mir, da habe ich bei beiden Gelegenheiten schon deutlich heftigere Reaktionen ausgelöst. Und sie alle überlebt.« Er wischte sich die Hände an seiner Jeans ab, musterte mich einen Moment, bevor er kurz die Schultern hob. »Du musst dich nicht entschuldigen. Wenn man plötzlich nicht mehr weiß, was man glauben soll oder wem, darf man schon einmal schreien und um sich schlagen. Ich bin dir nur dankbar, dass du nicht mit dem Dolch auf mich losgegangen bist.«
    Unwillkürlich tastete ich nach dem Mordwerkzeug, hinten, im Bund meiner Hose. Den ganzen Nachmittag hatte sein leichter Druck gegen meinen Rücken mich daran erinnert, dass es da war, und dann hatte ich es glatt vergessen. Ehe ich etwas sagen konnte, sprach er schon weiter: »Dich zu fragen, ob alles in Ordnung ist, wäre der blanke Hohn, also lasse ich es.«
Abermals musterte er mich, neigte den Kopf ein klein wenig zur Seite. »Möchtest du nach Hause? Es ist ohnehin bald Zeit.«
    Nach Hause? Für ihn war das Santa Reyada. Für mich … gab es das nicht.
    Trotzdem nickte ich.

25
    D er Lack des Geländewagens glänzte wie ein Leuchtfeuer in der Sonne, als wir wieder zum alten Santa Reyada hinabstiegen.
    Den ganzen Weg aus dem Cañon heraus hatten wir kaum gesprochen. Gar nicht, wenn man es genau nahm. Ich hatte versucht, mir all das um mich her einzuprägen, Erinnerungen daran mitzunehmen, aber irgendwie schien über jedem Grashalm, jedem Stein plötzlich ein grauer Schleier zu liegen. Der mit jedem Mal grauer wurde, wenn sich Tante María einmal mehr ungebeten in meine Gedanken schob. Er schien es genau zu spüren und ging einfach nur schweigend neben mir her. Doch wann immer ich zu ihm hinsah, erwiderte er meine Blicke, wortlos. Und obwohl ein Teil von mir sich immer noch dagegen wehrte, dass alles, was ich über – und von – Tante María wusste, möglicherweise nur eine Lüge gewesen war, war ein anderer Teil mit jedem Mal mehr bereit, ihm zu glauben. – Offenbar gab es in meinem Leben tatsächlich nur eine Konstante, von der ich absolut zweifelsfrei wusste, dass sie wahr war: Ich war eine Blutbraut. Seine.
    Die Sonne stand bereits so tief, dass sie schon zur Hälfte hinter dem Horizont versunken zu sein schien und die Mauern der Ruinen mit Feuer überzog, als wir den Fuß des Hanges schließlich
erreichten. Über der Sierra jenseits der Häuser hing immer noch ein Flimmern. Beinah hätte man meinen können, der Boden stünde in Flammen.
    Er hatte den Autoschlüssel schon in der Hand gehabt, als wir den Wagen noch gar nicht erreicht hatten. Jetzt öffnete er mir die Beifahrertür. Nach wie vor ohne etwas zu sagen. Der Lack strahlte eine solche Hitze ab, dass man sich vermutlich an ihm verbrannte, falls man ihn auch nur aus Versehen berührte. Nun ja. Es war ja nicht so, dass es hier irgendwelchen Schatten gegeben hätte, in dem er ihn hätte abstellen können.
    Ich stieg ein, während er nach hinten ging, um Rucksack und Wasserflaschen im Gepäckraum zu verstauen. Die Luft im Innern war stickig. Ohne zu wissen, wohin damit, nahm ich den Hut ab, legte ihn schließlich auf den Rücksitz. Der Griff des Dolches drückte sich in mein Kreuz. Ich zog ihn aus dem Bund, drehte ihn einen Moment unschlüssig in der Hand. Vorhin war er im Handschuhfach gewesen. Also dorthin zurück mit ihm. Beinah erwartete ich, darin noch

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