Blutbraut
mir in der Küche ein Sandwich machte, gerade als er den Türklopfer gegen die Haustür gehämmert hatte, als sei der Weltuntergang hinter ihm her. Da sich auf das erste Klopfen weder Rafael noch Joaquín, von Cris ganz zu schweigen, gerührt hatte, war ich nachsehen gegangen. Genau in dem Moment, als Cris die Treppe herunterkam und die Tür öffnete. Ich erhaschte nur einen kurzen Blick auf eine klatschnasse Gestalt in Kurierdienstuniform und einen schlammbespritzten Wagen, während Cris das Paket entgegennahm und unterschrieb, dann hastete der Mann auch schon mit seinem Klemmbrett in die Trockenheit seines Autos zurück.
Als Cris die Haustür schloss, verzog ich mich wieder in die Küche zu meinem Sandwich. Nur um kurze Zeit später von Rosa mit klappernden Schranktüren aufgescheucht zu werden. Sie gab erst Ruhe, als ich das Sandwich Sandwich sein ließ und ihr folgte. Beinah kam ich mir wie ein Jagdhund vor: die Nase in der Luft, um ihren Lavendelduft nicht zu verlieren. Sie führte mich in den vorderen Teil des Hauses. Kaum hatte ich die Halle betreten, ahnte ich bereits, was sie wollte: das Päckchen. Es stand auf der Sitzbank vor dem Flügel. Der Aufkleber Eilt! war nicht zu übersehen. Dass sie die Bank erbeben ließ, wäre eigentlich nicht mehr nötig gewesen. Allerdings wunderte es mich, dass sie das deutlich schwere Möbel bewegte und nicht das Päckchen, das sie vermutlich erheblich weniger Kraft gekostet hätte.
Ich hob es von der samtbezogenen Bank. Es war verhältnismäßig leicht. Der Absender war ein ›J.-M. Brignac‹ aus New Orleans. Und der Empfänger … Ich stieß ein Zischen aus. Wie hatte Rafael Cris genannt? Eine Ratte? Wie recht er doch gehabt hatte. Der Empfänger war ›Joaquín de Alvaro‹! Und Cris hatte es einfach hier abgestellt. Trotz des überdeutlichen Eilt!.
»Danke, Rosa.« Mit dem Päckchen in der Hand stapfte ich die Treppe hinauf. Und fragte mich bei jeder Stufe, was aus dem Cris geworden war, in den ich mich in Boston verliebt hatte. Da war er charmant und nett und zuvorkommend und sanft gewesen. Dass er solche Nummern abzog, hätte ich ihm niemals zugetraut.
Selbst ich hatte bemerkt, dass Joaquín in den letzten Tagen … angespannt … nervös … manchmal regelrecht … fahrig gewesen war. Wie jemand, der dringend auf etwas wartete. Und dem die Zeit davonlief. Dabei hatte er versucht, es vor mir zu verbergen, während er beinah jede Minute mit mir verbrachte. Sah man von den Gelegenheiten ab, in denen er beinah fluchtartig den Raum verließ, weil er ein bisschen ›Abstand‹ von mir brauchte. Und dann manchmal eine halbe Stunde oder länger verschwunden blieb. Zeit, in der er sich irgendwo im Haus auf seine Weise ›abreagierte‹. Gerade erst vor einer knappen Stunde war er wieder vor mir ›davongelaufen‹. Verrückterweise fühlte ich mich trotzdem in seiner Nähe sicher. Während er mir noch weitere alte Fotoalben gezeigt hatte; mir jede Frage, die ich zu meiner ›vergessenen‹ Vergangenheit hatte, beantwortete, wenn ich Dinge und Geschehnisse einfach nicht einordnen konnte; wenn er und Rafael mit mir Billard und Poker gespielt hatten. Er hatte sogar meinen Lieblingsfilm Miss Undercover über sich ergehen lassen, ganz zu schweigen von Rafaels Sticheleien
deswegen. Immer mit mindestens einem Meter Distanz zwischen uns. Niemals direkt neben mir, egal ob auf dem Sofa, in einem Sessel oder am Tisch. Mein Unterricht in Hexerei hatte aus genau den gleichen Gründen ein abruptes Ende gefunden. Er konnte mich über längere Zeit so dicht bei sich nicht mehr ertragen. Die Magie, die dabei mit ›im Spiel‹ war, machte es anscheinend nur noch schlimmer. Dass er über einer Kleinigkeit einmal die Beherrschung verloren, mich angeschrien und aus seinem Laboratorium gejagt hatte, hatte unserem Projekt den Todesstoß versetzt. – Vielleicht war das hier ja genau das, auf das Joaquín so ungeduldig wartete. Und Cris trieb solche Spielchen.
Gut, zugegeben, wann immer er und Joaquín sich seit dem Vorfall in der Küche über den Weg gelaufen waren, hatte unverhohlene Wut in der Luft gehangen. Zu meiner Überraschung spielte Rafael mehr als einmal den Puffer zwischen den beiden, anstatt so eindeutig Stellung zu beziehen wie an jenem Morgen. Er witzelte sogar, dass man vielleicht Wohnzimmer und Halle zur ›neutralen Zone‹ erklären und den Rest der Räume zwischen ihnen aufteilen sollte. Der Vorschlag brachte ihm von beiden Seiten böse Blicke ein. Die Idee, den beiden
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