Blutbraut
abermals eingehend von oben bis unten, blieb hinter mir stehen. »Das ist also Lucinda Moreira. Die Moreira-Blutbraut, die bis vor ein paar Stunden so gründlich verschwunden war, dass man hätte glauben können, jemand habe eine Escondera, eine Verborgene, aus ihr gemacht.« Ich zwang mich dazu, geradeaus zu schauen, irgendwie das Zittern zu beherrschen. Vampir! Die beiden anderen Männer murmelten überrascht. »Was bisher allerdings nur einmal ein Hexer der Hermandad geschafft hat. Und damals war schwarze Magie im Spiel.« Er beugte sich über meine Schulter. Kam ganz nah. Alles in mir verkrampfte sich. Atmen! »Wir hätten dich spüren müssen, da hinten im Kofferraum. – Da warst du doch, nicht wahr? Die ganze Strecke von Santa Reyada bis hierher. – Aber … nichts. Selbst jetzt … bist du nicht mehr als eine Ahnung. Und das, obwohl ich weiß, dass du da bist. – Irgendjemand hält die Hand über dich, petite chérie. Ich kann die Siegel spüren. Sehr geschickt. Fein gewebt. Exzellente Arbeit. – Die nicht verrät, von wem sie stammt. Er verbirgt seine Handschrift äußerst gekonnt. Auf den ersten Moment hätte ich gedacht … Aber das ist unmöglich. Dieser Mann ist schon etliche Jahre tot. – An wen hast du dich verkauft, petite chérie? Wer ist dein Gönner? Er muss zur Hermandad gehören. Einer aus dem Ordre könnte diese Art Siegel nicht schreiben. Willst du zu ihm zurück? Bist du deshalb vor Joaquín davongelaufen? Das bist du doch? Warum hättest du dich sonst in unserem Kofferraum versteckt. Sag mir seinen Namen!«
Ich starrte ihn an, umklammerte die Armlehnen fester. Die Hand über mich gehalten? Siegel? Gönner? Ich schüttelte den Kopf.
»Nein? Du sagst mir seinen Namen nicht?« Er lachte. »Wie entzückend loyal von dir. – Nun gut. Meinetwegen behalte dein kleines Geheimnis für den Moment. Aber vielleicht beantwortest du mir ein paar Fragen zu Joaquín? Ihm gegenüber wirst du wohl kaum so loyal sein, wenn du vor ihm davonläufst. « Langsam kam er um mich herum, stützte sich zu beiden Seiten auf den Armlehnen ab. In letzter Sekunde riss ich die Hände zurück, drückte sie in meinen Schoß. Er lächelte. Seine Reißzähne ganz dicht vor meinem Gesicht. Vampir! Meine Lungen zogen sich zusammen. Nein! Bitte, nein! »Weißt du, ich kaufe ihm nicht ab, dass alles in bester Ordnung ist, wie er uns glauben machen will. Und vor einer Blutbraut kann keiner von uns sein ›wahres‹ Äußeres bei Nacht verbergen. So mächtig einer auch sein mag. Diese Art der Zauber wirkt bei euch nun einmal nicht.« Er neigte sich dichter zu mir. Ich presste mich fester gegen die Lehne, versuchte zu atmen. Ohne Erfolg. »Du hast ihn doch schon bei Nacht gesehen, petite chérie. « Seine Stimme sank zu einem Murmeln herab. »Sind seine Augen dann farblos? Wie Diamanten? Und seine Fingernägel? Sind sie schon schwarz? Und scharf wie Rasierklingen? Hat er nach Sonnenuntergang schon ihre teuflische Schönheit? Oder trägt er diese Zeichen am Ende schon, bevor die Sonne untergeht? – Nein, das kann nicht sein, nicht wahr? Sonst wäre er nicht mehr in der Lage, sich so mühelos im Tageslicht zu bewegen. « Er nahm eine Hand von der Lehne, schob mir das Haar hinters Ohr. Ich zuckte zur Seite, versuchte, seiner Berührung auszuweichen. »Nun?« Seine Hand folgte meiner Bewegung,
glitt an meinem Hals abwärts, legte sich um meine Kehle. Ich keuchte hilflos. Erneut ein Lächeln, ganz nah. Reißzähne hinter seinen Lippen. Meine Lungen zogen sich noch mehr zusammen. Nein! Nein!
»Seine … seine Augen sind … sind farblos … fast. Und … und bei Tag … ein heller Rand. Um die Pupille. Und … und seine Eckzähne sind … zu lang. Bitte! Ich habe Ihnen gesagt, was Sie wissen wollten. Mehr weiß ich nicht. Nur seine Augen … und die Zähne … Lassen Sie mich gehen.« Die Worte brachen aus mir heraus, waren kaum mehr als ein Schluchzen.
Sein Daumen strich über meine Halsschlagader. Ich wimmerte, presste mich härter gegen den Stuhl, versuchte zu atmen, irgendwie.
»Dich gehen lassen? Aber nicht doch. Hat dir niemand gesagt, wie wertvoll du bist? Eine Blutbraut … Obendrein eine Moreira …« Wie nachdenklich fuhr er mit den Fingerspitzen auf meiner Haut auf und ab. »In meiner Familie gibt es einen jungen Hexer … mein Neffe … hochbegabt … sehr vielversprechend … er kann einmal ganz groß werden. Aber wir haben noch keine Blutbraut gefunden, die für ihn passt. Dabei nimmt seine Blutgier immer mehr zu.
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