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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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sich um, ohne dass ich etwas sagen musste. Abermals streckte er mir die Hände hin. Ihr Griff war kühl und fest und sicher.
    Vorsichtig rutschte ich endgültig vom Bett. Sekundenlang schien der Boden seltsam weich unter mir und in meinem Kopf meldete sich ein dünnes Ziehen, doch nach einem weiteren Moment fühlte ich mich sicher genug, um meine Hände aus Fernáns zu lösen. Er ließ es zu, behielt mich aber weiter wachsam im Blick, während er das Kleid vom Stuhl nahm und es mir hinhielt.
    »Meine Frau ist zwar etwas größer als du, aber ansonsten sollte es passen.«
    Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal ein Kleid getragen hatte. Noch nicht einmal einen Rock besaß ich. Der Stoff floss weich von seiner Hand. Wie die unterschiedlichen Grüns ineinanderspielten, gefiel mir.
    Nach einem letzten Zögern nahm ich es ihm ab. »Was ist mit meinen eigenen Sachen?«
    »Die waren voller Blut. Soledad hat sie verbrannt.« Sein Ton war plötzlich seltsam … kühl, professionell-distanziert, so als gäbe es da das ein oder andere Detail, von dem er mir nichts erzählen wollte.

    Ich sah von dem Kleid auf. Hatte es tatsächlich so schlecht um mich gestanden? Nun, immerhin hatte ich in einem Auto gesessen, das sich bei mehr als dreihundert Stundenkilometern überschlagen hatte. Ohne angeschnallt zu sein. »Wie schwer war ich wirklich verletzt?«
    Fernán verzog den Mund. Einen Moment schien er zu überlegen, was er mir sagen sollte – und vor allem: wie viel –, bevor er dann antwortete: »Du hattest eine schwere Gehirnerschütterung. Quetschungen und Abschürfungen überall. Mehrere Rippen auf der rechten Seite waren gebrochen. Dazu noch ein paar innere Verletzungen.« Er neigte den Kopf, musterte mich noch einmal eingehend, nickte zu dem Kleid hin. »Ich denke, du wirst keine Hilfe brauchen, oder? Ansonsten kann ich Soledad bitten …«
    »Nein«, unterbrach ich ihn schnell. »Ich schaffe das allein.«
    Abermals glitt sein Blick über mich, doch dann nickte er erneut. »Gut. Wenn du fertig bist, komm ins Besucherzimmer. Den Gang entlang, die letzte Tür auf dieser Seite. – Aber falls dir schwindlig wird, du dich sonst irgendwie plötzlich nicht wohlfühlst oder dir etwas wehtut: Schrei.«
    »In Ordnung.«
    »Versprochen?«
    Die Art, wie er mich ansah, entlockte mir ein Lächeln. »Versprochen. «
    Offenbar zufrieden, ließ er mich allein. Vorsichtig und zugleich ein wenig ungelenk zog ich das Nachthemd über den Kopf und legte es hinter mich aufs Bett. Dann schaute ich an mir hinunter. Ich mochte mich steif fühlen und noch immer nicht wirklich sicher sein, ob mir jetzt etwas wehtat oder nicht, Fakt war: Ich konnte keine Spuren eines Unfalls an mir entdecken.
Zumindest nicht auf den ersten Blick. Langsam streifte ich das Kleid über. Etwas steckte in der Tasche. Verwirrt schob ich die Hand hinein. Und förderte ein Bündel Geldscheine daraus hervor … Ich erstarrte. Mein letzter Lohn. Ich hatte ihn vollkommen vergessen! Fernán oder seine Frau mussten ihn in meiner Hose gefunden haben … Mit einem tiefen Atemzug schob ich das Geld in die Tasche zurück. Dem Himmel sei Dank!
    Unter dem Stuhl standen ein paar flache Sandalen. Sie passten ebenso gut wie das Kleid. Allerdings musste ich mich hinsetzen, um sie anzuziehen.
    Der Gang, an dem das Besucherzimmer lag, hätte auch zu einem normalen Wohnhaus gehören können. Die Wände waren in einem warmen Sonnengelb gestrichen. Die dunkleren Schwammtupfer darauf wirkten wie übergroße Blumen. An seinem Ende öffnete sich eine Glastür ins Freie, hinter der in ein paar Meter Entfernung eine sauber gestutzte grüne Hecke gegen den Himmel wuchs. In regelmäßigen Abständen standen Türen offen; zwei weitere Krankenzimmer und ein Behandlungsraum. Alle leer. Offenbar war ich die einzige Patientin.
    Ich bog um die Ecke. Und blieb noch im Türrahmen stehen. Nicht Cris, er wartete auf mich: Joaquín. Joaquín, der sich im selben Moment zu mir umgedreht hatte, als ich in der Tür aufgetaucht war. Joaquín, der tiefe Ringe unter den Augen hatte; Augen, die trotz der zugezogenen Vorhänge noch heller zu sein schienen als gestern – nein, vorgestern. Dessen Haltung angespannt, ja beinah verkrampft wirkte. Der mich mit einem Blick ansah, in dem ich vor allem zwei Dinge zu erkennen glaubte: Hunger. Und Erleichterung. Seine Handgelenke waren bandagiert,
als hätte er versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. An seiner Lippe hing noch immer Schorf. Ebenso in

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