Blutbraut
Die Stimme kam mir vage bekannt vor, weich, freundlich. Dennoch öffnete ich hastig die Augen und wandte den Kopf. Ein scharfer, dünner Stich fuhr meinen Nacken hinauf. Keuchend holte ich Luft. Jetzt meldete sich auch meine Seite mit einem unangenehmen Druck.
»Ganz langsam. Alles ist in Ordnung.« Dieselbe Stimme. Ein Mann beugte sich über mich. Dunkles Haar. Dunkle Augen. »Aber wer sich bei über hundertachtzig Meilen die Stunde in einer Viper überschlägt – ohne angeschnallt zu sein – «, er schnalzte tadelnd mit der Zunge, »der sollte es etwas entspannt angehen lassen, meinst du nicht auch?« Seine Hand lag auf meiner Schulter, als wolle er verhindern, dass ich mich aufsetzte. »Ich bin Fernán. Bei unseren bisherigen Zusammentreffen warst du jedes Mal ein bisschen … sagen wir: nicht ganz da, aber vielleicht erinnerst du dich ja trotzdem an mich?«
Fernán. Ja, natürlich. Der Arzt, den sie schon zwei Mal für mich gerufen hatten. An seinen Schläfen schimmerten die ersten silbernen Fäden, obwohl er nicht viel älter als er sein konnte. Wenn überhaupt.
Vorsichtig wagte ich ein Nicken. Außer einem schwachen Ziehen war da nichts. Vielleicht schaffte ich es ja, mich aufzusetzen? Ein wenig umständlich stemmte ich mich auf die Ellbogen. Um endgültig in die Senkrechte zu kommen, brauchte ich dann aber doch Fernáns Hilfe. Ich trug ein Nachthemd. Es fühlte sich an wie Seide. Allerdings besaß ich keine Nachthemden. Nur übergroße T-Shirts.
»Was ist passiert?«
Möglichst unauffällig sah ich mich um. Ich lag in etwas, das ein Krankenhausbett sein mochte – allerdings in einer ziemlich teuren Privatklinik. Durch ein hohes Fenster flutete Sonnenlicht
in den Raum. Gegenüber dem Fußende des Bettes hing ein Ölgemälde in allen nur erdenklichen Ockertönen an einer sandfarben gestrichenen Wand. In der Luft lag der Duft von Zitronen und Orangen … Und trotzdem brachen die Bilder für einen Moment aus meiner Erinnerung: der Geruch von Desinfektionsmitteln; weiße, nackte Wände; Drahtgitter vor den Fenstern; verschlossene Türen – stets verschlossene Türen … Mein Blick zuckte zur Seite. Hinter Fernán stand die Tür sperrangelweit offen … Ich würde aus dem Zimmer gehen können, wann immer ich wollte.
»Alles in Ordnung, Lucinda?« Fernáns Griff an meiner Schulter veränderte sich. Er beugte sich ein wenig vor, musterte mich, packte zugleich mein Handgelenk, drückte die Fingerspitzen gegen die Innenseite. Erst da wurde mir bewusst, dass mein Atem sich in ein hastiges Keuchen verwandelt, ich die Fäuste in die Bettdecke gekrallt hatte.
Ich löste sie mühsam, nickte erneut, brachte irgendwie ein Lächeln zustande. »Ja.« Auch meine Atemzüge beruhigten sich wieder. »Was ist passiert?« Ich hatte die Frage kaum ausgesprochen, als ich mich wieder erinnerte: der andere Wagen. Er hatte nach mir gegriffen und wir hatten uns überschlagen.
Fernáns Blick war noch immer prüfend, auch wenn er die Hand fortnahm und sich wieder aufrichtete. »Einer von Joaquíns besonderen ›Freunden‹ hat wohl versucht, eine Rechnung mit ihm zu begleichen, und euch von der Straße abgedrängt. Ihr habt euch überschlagen. Mehrfach. Cris war nur kurz hinter euch. Zum Glück. Sie haben dich zu mir gebracht anstatt in das nächste Krankenhaus. Was vermutlich tatsächlich das Beste war. Ganz abgesehen davon, dass ich hier ein paar andere … Möglichkeiten hatte, wären sie niemals mit Joaquín fertiggeworden.
Und hätten niemals eine Direkttransfusion von ihm zu dir in Erwägung gezogen.«
Sie hatten … Oh mein Gott, bitte, nein! Der Laut, der aus meiner Kehle kam, war beinah ein Wimmern.
Mein Entsetzen war ihm nicht entgangen. Womit ich niemals gerechnet hätte, war die Art, wie er mich plötzlich ansah. Hart und unwillig. »Ich will dir nichts vormachen, Lucinda, als Joaquín dich auf meinen Tisch gelegt hat, habe ich mir ernsthafte Sorgen um dich gemacht. Dass du nach nur einem Tag wieder hier sitzt und es dir so gut geht, dass ich dich nach Hause lassen kann, hast du nur ihm und seinem Blut zu verdanken.« Er stand von seinem Stuhl auf. »Was auch immer da zwischen euch schiefläuft, geht mich nichts an. Und ja, wir hätten dich fragen müssen, ob du einverstanden bist, aber du warst nun mal nicht wirklich bei Bewusstsein. Und ja, Joaquín mag in letzter Zeit schwierig sein. – Aber im Moment muss dir eines klar sein: Sein Blut ist dafür verantwortlich, dass du nicht immer noch auf irgendeiner
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